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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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nach Warschau. Ich fühle mich wie ein Hase unter Hunden."
    Werner tröstete ihn mit Mampe, aber Edward blieb bei seiner Absicht.
    Edward war nicht dabei, als Werner in Hamburg ausging. Er landete im „Zillertal", und es waren noch mehr Artisten dort. Sie saßen alle zusammen in einer Nische an einem Tisch und lärmten.
    Der Mann, mit dem Werner Streit bekam, trug kein Parteiabzeichen. Er setzte sich zu ihnen an den Tisch und bestellte Wein. Dann hielt er eine Rede, denn er war schon stark betrunken. Er sagte: „Was meint ihr, Jungens, wie wir diesen Polacken die Jacke vollhauen! Wenn sie nicht nachgeben, spielen wir in drei Wochen in Warschau das Deutschlandlied!"
    Er hob sein Glas und verschüttete die Hälfte des Weines, bevor er es an die Lippen brachte. Er saß neben Werner. Er schüttete Werner den Wein auf die Hose.
    „Hör auf!" sagte Werner ärgerlich. „Geh nach Hause, du bist voll!"
    „Wir werden das Deutschlandlied in Warschau spielen!" grölte der Betrunkene.
    „Ja", sagte Werner, „ist ja gut. Hau ab!"
    „Das Deutschlandlied ...", grölte der Mann.
    Die anderen beachteten ihn nicht. Aber Werner sagte boshaft : „Ihr mit eurem Deutschlandlied! Ein einziger polnischer Seiltänzer ist mehr wert als euer beschissenes Deutschlandlied und der ganze Reichstag dazu ..."
    Der Mann schlug zuerst. Er traf zwar nicht, aber er stürzte sich auf Werner, und der drückte ihm sein Weinglas ins Gesicht. Er drückte es ihm auf den Mund, um seine Augen nicht zu verletzen. Der Mann torkelte zurück und stieß an den nächsten Tisch. Er nahm von dort eine halbvolle Sektflasche und warf sie nach Werner. Er brüllte dabei, man solle den Staatsverräter greifen. Werner ging auf ihn zu und schlug ihm die Faust in den Magen. Er tat es nicht des Deutschlandliedes wegen und nicht, weil er noch immer an Edward gedacht hätte. Er hatte das nur so hingesagt. Der Mann sackte zusammen, und Werner schleifte ihn aus dem Lokal. Er ließ ihn dort liegen und beging den Fehler, sich wieder an den Tisch zu setzen, an dem er gegessen hatte.
    Sie vernahmen ihn, aber er hatte Glück. Die Reichskulturkammer verhängte ein befristetes Auftrittsverbot über ihn. Sein Rechtsanwalt wurde zur Gestapo bestellt. Als er zurückkam, riet er Werner: „Sie haben eine Chance. Melden Sie sich freiwillig zum Militär. Sie entgehen allen Weiterungen dadurch. Die Sache verläuft im Sande, und wenn der Krieg vorbei ist, wird alles vergessen sein."
    „Krieg?" fragte Werner.
    ja. Krieg", sagte der Rechtsanwalt, „es kann sich nur noch um Tage handeln."
    Er meldete sich zu den Fallschirmjägern. Die suchten Leute. Sie nahmen ihn sofort, und er bekam noch vierzehn Tage Frist, bis er einrücken mußte. Auf dem Einberufungsschreiben stand der Ort Stade. Werner nahm das alles so gleichgültig zur Kenntnis, als handle es sich um eine neue Tournee.
    Er war lange nicht bei Franziska gewesen, und sein Gefühl sagte ihm, daß er die Treue dieses Madchens überschätzt habe. Als er das letztemal bei ihr gewesen war, war sie ein Mädchen gewesen, das ihn liebte. Nur ihn. Als er jetzt wieder zu ihr kam, fand er ein Weib. Sie erschien ihm fremd, aber er sagte nichts. Er nahm das Weib, und er fühlte, wie die letzte Saite in seinem Herzen, die er sich hatte erhalten wollen, zersprang. Es schmerzte ihn, und er dachte: So wie du jetzt bei ihr liegst, haben andere bei ihr gelegen. So wie du sie küßt, haben andere sie geküßt. Er meinte den Geruch der anderen zu spüren, ihre Pomade zu atmen. Es hatte ihm nie etwas ausgemacht, bei keiner anderen. Nur bei Franziska. Er begriff, daß er dieses Mädchen geliebt hatte.
    „Was machst du mit dem Wagen?" fragte das Mädchen.
    „Verkaufen", sagte er einsilbig.
    Sie glitten wieder zueinander. Es war eine schwüle Augustnacht.
    „Du wirst gar nicht müde ...", sagte er.
    Sie lachte leise. Dann flüsterte sie: „Du warst lange nicht bei mir."
    Er schluckte, aber er sagte nichts. Nach einer ganzen Weile sagte er: „Es ist ein Unsinn, wenn ein Mann von einer Frau verlangt, daß sie ihm treu bleibe. Es ist ein Unsinn ..."
    Sie lachte wieder. Sie hatte eine wohlklingende, tiefe Stimme. „Man soll das nicht verlangen", sagte sie, „weder als Mann noch als Frau. Das Leben ist sehr kurz. Jeder Tag zählt. Man weiß nicht, was morgen ist. Man soll überhaupt nicht so viel nachdenken. Es nimmt einem die Lust an der Sache..."
    Du hättest dich zu jeder beliebigen Hure legen können, dachte er, es wäre nicht anders gewesen. Du

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