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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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sehr ruhig. Das Haus war bis auf den letzten Platz besetzt. Karloff im Wintergarten. Berlin gab etwas aus für ein gutes Variete.
    Übermorgen geht es auf Tournee, dachte er. Zum erstenmal. Nach Paris. Ob Paris wirklich so schön ist wie in den Prospekten? Er warf das letzte Messer. Gute, auf ein Milligramm ausgewogene Messer. Es blieb zitternd in dem Brett stecken, ein paar Millimeter über dem blonden Scheitel von Madame Doris. Werner ließ die Arme sinken und verbeugte sich vor dem Publikum. Der Beifall rauschte auf. Madame Doris trat von dem Brett weg und verbeugte sich ebenfalls. Sie trug ein äußerst knapp sitzendes Trikot, mit Goldpailletten bestickt. Sie hat einen Körper wie ein Vamp, dachte Werner.
    Dora Budelmann aus Bochum. Er verbeugte sich nochmals und griff nach der Hand von Madame Doris. Die Hand drückte die seine sehr stark. Der Scheinwerfer schwenkte herum. Die Leute tobten. Während er die Messer geworfen hatte, war es still gewesen wie in einem Totenhaus. Nun lärmten die Leute. In der ersten Reihe saßen ein paar Offiziere. Sie klatschten, indem sie die zusammengerollten Programmhefte gegen die Handflächen schlugen. Aufgeblasenes Pack, dachte Werner. Er verbeugte sich noch einmal und verließ die Manege. Das Publikum beruhigte sich sehr langsam. Der Messerwerfer war Klasse.
    Madame Doris erschien, mit einem lose übergeworfenen Bademantel, in seiner Garderobe. Sie schloß geräuschlos die Tür und hockte sich in einen Sessel. Sie roch nach Puder; sie war noch nicht abgeschminkt. Aus der Tasche des Bademantels nahm sie eine Kognakflasche. Auf dem Toilettentisch standen Gläser. Sie waren benutzt, aber Madame Doris goß den Kognak hinein, ohne sie auszuwaschen.
    „Prost, Kleiner", sagte sie gut gelaunt. „Morgen haben wir Ruhe. Und dann noch drei Tage Reise, und wir sind in Paris. Wollen wir heute abend einen trinken?"
    Werner wischte sich die falschen Koteletten ab und sagte wenig interessiert: „Du trinkst doch schon! Willst du die ganze Nacht durchsaufen?" „Nein", sagte die Frau, „Murmeln spielen."
    Als sie Paris hinter sich hatten, reisten sie nach Kopenhagen, von da nach Budapest und von da nach Wien. Den Winter über gastierten sie in London und Dublin. Als es Frühling wurde, reisten sie nach Rom. Von da nach Amsterdam.
    Werner logierte sich bei einer Tänzerin ein, die ein Halbblut war. Sie spielte ihm malaiische Schallplatten vor und traktierte ihn mit blauem Bols.
    „Nicht so viel, Meisje", sagte Werner, „dieser Schnaps ist nicht der beste
    ..."
    In Stockholm lud ihn der Besitzer eines Kinotheaters ein, in dem sie gastierten. Sein Sohn warf auch Messer. Der Sohn ging um acht Uhr zu Bett, und der Theaterbesitzer rüstete sich zu einer Reise. Er nahm seine Frau nicht mit, und sie lud Werner immer wieder ein.
    Er lag neben ihr und sah zu, wie sie an einer Tonpfeife mit winzigem Kopf zog. Sie hatte einen schlaffen und trotzdem aufreizenden Körper. Sie roch nach einem Parfüm, das entfernt an den Duft von Zimtblüten erinnerte. Das ganze Bett roch danach, als Werner gegen Morgen einschlief. Er lag öfter in diesem Bett. Als der Hausherr von seiner Reise zurückkam, gastierte Werner in Brüssel. Die Tournee näherte sich Ihrem Ende. Karloff kehrte heim nach Berlin, um auszuruhen, ein neues Programm zusammenzustellen, erneut das Publikum zu begeistern. Madame Doris saß in dem gleichen Eisenbahnabteil wie Werner. Der Zug ratterte auf den Schienen zwischen Hannover und Berlin.
    „Was für ein Auto wirst du kaufen?" erkundigte sich Madame Doris. Werner antwortete ihr nach einigem Überlegen: „Einen Hansa."
    „Schöner Wagen. Wirst du mich auch mal mitnehmen?" „Vielleicht." Er steckte eine Zigarette an. Er verdiente gut. Er warf Messer und machte Bodenakrobatik. Im letzten halben Jahr hatte er eine Anzahl Salontricks einstudiert. Die Karloff-Truppe brauchte einen Illusionisten. Er beherrschte zwölf Tricks. Sie würden keinen Illusionisten anstellen. Sie würden Werner nehmen. Werner würde dreifache Gage beziehen. Er erinnerte sich, daß er aus Kopenhagen nicht an Franziska geschrieben hatte. Ich werde ihr nichts von Kopenhagen erzählen, dachte er. Ich werde ihr überhaupt nichts erzählen. Das Mädchen ist zu gut, als daß man ihr erzählt, wie die Welt aussieht.
    Sie empfing ihn am Bahnhof, und sie küßten sich, bis der Bahnsteig menschenleer war. Dann sagte er belustigt: „Rotschwänzchen, wir müssen durch die Sperre!" Sie schlug ihm leicht auf die Lippen, so wie immer,

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