Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
Vom Netzwerk:
aus schwarzem Holz, an der einen Kante ein wenig beschädigt, die Zeiger hell über dem dunklen Zifferblatt, auf dem die Zahlen kaum noch zu erkennen waren.
    Die Fenster waren verhängt, obwohl die Petroleumlampe nur einen trüben rötlichen Schein abgab, der nicht weiter reichte als über den Tisch hinweg und alles übrige im Halbdunkel ließ. Es war eine einfache Küche. Der Ofen mit dem träge flackernden Feuer hinter der durchbrochenen Tür. Der Tisch aus rohem Holz, weißgescheuert im Laufe der Jahre. Ein paar Stühle, ebenso weißgescheuert. Ein Schrank, dessen Elfenbeinlack rissig war. Über dem Herd hingen ein paar metallene Küchengeräte. Es war alles einfach und sauber. Von jener nach frischer Milch, nach Stalldunst und Kartoffelbrodem riechenden Sauberkeit.
    Thomas Bindig bewegte ein wenig die Hände, die er auf den Oberschenkeln liegen hatte. Er spürte, daß seine Handflächen schwitzten. Was ist mit dir? fragte er sich. Ist es dieses seltsame, vergessene Leben, das dich unsicher macht? Ist es die Frau? Nur die Frau? Der Stumme?
    Er blickte die Frau an. Sie saß ihm gegenüber, auf dem Stuhl hinter dem Tisch, unter dem Fenster. Ihre Augen waren auf den Herd gerichtet. Bindig sah sie lange an, und die Frau spürte den Blick, aber sie wandte ihre Augen nicht vom Herd ab.
    Es waren große, bernsteinfarbene Augen, die selbst im matten Licht der Petroleumlampe schimmerten. Sie gaben dem vollen, ovalen Gesicht etwas Mütterliches, Madonnenhaftes. Ein Eindruck, der noch verstärkt wurde durch das straff zurückgekämmte, glänzende schwarze Haar mit dem Scheitel in der Mitte des Hauptes und dem Knoten, zu dem die langen Strähnen im Nacken geschlungen waren. Bindig erinnerte sich, daß in den Bewegungen der Frau eine seltsame, ruhige Ausgeglichenheit gelegen hatte. Er war gekommen, und sie hatte ihm die Tür geöffnet, mit großen, weit offenen Augen, in denen er ein wenig Angst zu spüren geglaubt hatte. Sie war vorausgegangen, und er sah noch immer ihren Körper vor sich. Sie trug nicht die Kleidung der Bauern. Nicht jene schwarzen, verwaschenen Röcke, sondern ein billiges, eng anliegendes Kattunkleid. Sie ist eine Frau, dachte Bindig, kein Mädchen. Eine Frau, die dreißig Jahre alt sein mag. Sie scheint keine Kinder gehabt zu haben, aber ihre Bewegungen sind die Bewegungen einer Frau, die Mutter gewesen ist. Ihr Körper ist reif und voll. Sie ist zehn Jahre älter als ich. Warum starre ich sie so an? Was ist an diesen Augen?
    Er hatte wenig mit Bauern zu tun gehabt. Er kannte sie nicht und nicht ihre Art. Aber diese Frau hier war weniger Bäuerin als Frau. Bindig hatte nur die zarten, feinnervigen Stadtgeschöpfe in der Erinnerung. Sie hatte er bewußt gesehen und erlebt. Diese Frau war die erste Bäuerin, die ihm begegnete, wenn er davon absah, daß er manchmal in einem Quartier gelegen hatte bei Bauern, die er kaum wahrnahm, kaum in ihrer Art erfaßte, bevor er wieder weiter zog.
    Vor ihm auf dem Tisch standen die beiden Fleischbüchsen. Die Frau hatte genickt und das Feuer im Herd angefacht. Er hatte ihr gesagt, daß man auf Zado warten müßte, und sie hatte wiederum genickt. Er entsann sieb, daß es nicht unfreundlich ausgesehen hatte. Eher verständnisvoll. Aber auch mit jener spürbaren Andeutung, daß man auf keinen Fall angenehm überrascht sei von dem unerwarteten Besuch.
    Bindig fühlte die Flasche mit dem Schnaps in seiner Hosentasche. Er hatte sie noch nicht ausgepackt. Er wußte keinen anderen Ausweg, als auf Zado zu warten. Zado war mit den Feldgendarmen unterwegs. Was daraus werden sollte? Egal, sie werden Anzeige erstatten, und vielleicht werden sie mich verhören. Ich werde meine Antworten besser überlegen. Wenn es nichts nutzt? Ich kann nicht aus dem Himmel in die Hölle kommen. Höchstens aus einer Hölle in die andere. Er spürte eine eigenartige Gleichgültigkeit gegen diese Gedanken. Sie berührten ihn nicht mehr. Er sah nur die Frau vor sich, und während er sie anblickte, dachte er an nichts anderes. Er richtete sich auf und sagte: „Sie haben noch Kühe?"
    „Ja", sagte die Frau nach einer Weile. Sie sagte es gedehnt, aber ohne Ausdruck. „Zwei Kühe."
    Er merkte, daß sie den Knecht dabei ansah.
    „Die Russen haben sie Ihnen nicht genommen?"
    Der Knecht hockte auf einer Fußbank am Ofen. Ein großer, breitschultriger Mensch, blond. Das Gesicht wäre schön gewesen, wenn es nicht diesen schlaff geöffneten, feuchten Mund gehabt hätte. Er vernachlässigte sich. Er hatte lange

Weitere Kostenlose Bücher