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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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an ihren Lippen, als sie sagte: „Sie sind so höflich, als wären Sie kein Soldat, sondern ein Diplomat. Ich mag Höflichkeiten nicht.
    Höfliche Menschen möchten andern immer etwas vormachen. Sie sind nicht ehrlich. Sie denken: „Stirb―, während ihre Augen sagen: „Ich bin Ihnen sehr zu Dank verbunden."
    Er sah sie eine Weile an, dann sagte er: „Ich wünsche Ihnen nicht, daß Sie sterben. Ich habe keinen Grund dazu."
    „Verzeihen Sie", bat die Frau, „ich wollte Sie nicht beleidigen. Ich sagte Ihnen nur, wie ich darüber denke. Übrigens sind Sie viel zu jung, um schon zwei Gesichter zu haben. Wer Sie ansieht, weiß alles von Ihnen."
    Sie erhob sich rasch und ging an den Herd. Das Wasser in dem kleinen Topf kochte. Sie nahm Kräuter aus der Tüte und streute sie in das kochende Wasser. Dabei sagte sie bestimmt: „Jetzt werden Sie diesen Tee trinken. Er wird Ihnen helfen. Wenn Ihr Kamerad kommt, werden Sie essen können. Haben Sie lange nichts Richtiges gegessen?"
    „Wo ist mein Messer?" fragte er plötzlich. Er fühlte, daß er die Schwäche überwunden hatte. Die Frau stieß die Tür auf und winkte dem Knecht. Er trat mit schlaffen, herabhängenden Armen ein, mit schlurfendem Gang. Wie ein Nachtwandler. In der einen Hand hielt er die Fleischbüchsen. In der anderen das Messer. Die Büchsen waren geöffnet. Das Messer war gesäubert, und die Klinge blinkte. Er trat an den Tisch und setzte die Büchsen ab. Dann hielt er Bindig grinsend das Messer entgegen. Er verbeugte sich dabei.
    „Hat er die Büchse mit meinem Messer geöffnet?" fragte Bindig die Frau. Der Knecht blieb, unbeteiligt grinsend, am Tisch stehen. „Sicher", sagte die Frau, „wir haben keinen Büchsenöffner." Sie deutete auf die Büchsen, dann auf das Messer und machte dabei ein paar schnelle Handbewegungen, die das öffnen der Büchse andeuten sollten. Der Knecht blickte sie aufmerksam an, aber dann schüttelte er plötzlich energisch den Kopf. Aus seinem Mund kamen ein paar gurgelnde, kehlige Laute. Er gestikulierte wild mit den Händen und. lief in den Hausflur. Von dort brachte er ein altes deutsches Seitengewehr und deutete an, daß er die Büchsen mit diesem Instrument geöffnet habe. Die Frau nickte ihm gutmütig zu.
    „Ist gut, Jakob, ist gut. . ." Sie winkte ihm, und er schlurfte wieder dorthin, wo er zuvor gesessen hatte. Seine Augen leuchteten im Scheine des Herdfeuers. „Er hat sie mit dem alten Ding aufgemacht", sagte sie zu Bindig. „Wahrscheinlich hat er sich auf Ihr Messer nicht verstanden."
    Bindig steckte das Messer wieder in die Wadentasche. Dabei sagte er: „Das war sein Glück. Sonst hätte das Fleisch keinem von uns geschmeckt."
    Die Frau stellte eine Tasse Tee vor ihn hin. „Trinken Sie!" forderte sie ihn auf. „War das Messer sehr schmutzig?"
    Bindig stand auf. Er griff dabei in die Hosentasche, wo die Schnapsflasche steckte. Es war Hennessy. Sie hatten ihn in irgendeinem Verpflegungslager gestohlen, denn Hennessy gab es nur für Offiziere. Er zog die Flasche heraus und riß die Zinnkapsel ab. Er hielt Jakob die Flasche hin und sagte dabei leise: „Aufmachen!" Er deutete es dem Knecht an, und der nickte eifrig.
    „Das Messer war nicht schmutzig, liebe Frau", sagte Bindig, „aber ich habe damit vor drei Tagen einen Russen erstochen. Und zuvor fünf oder sechs andere. Ich habe es jedesmal danach sauber abgewischt und gereinigt. Auch gestern. Und jetzt können Sie diesen Tee wegnehmen. Er wird meinem Magen nicht helfen, denn es ist nicht mein Magen, dem geholfen werden müßte."
    Der Knecht hatte mit ein paar geschickten Griffen die Flasche entkorkt. Er hielt sie Bindig hin und sah ihn dabei an, als habe er einen Kranken vor sich, um dessen Genesung er besorgt sei.
    „Gefangene Russen?" fragte die Frau.
    „Nein", sagte Bindig. Er nahm die Flasche. „Ich bitte Sie um drei Gläser",
    sagte er. Während die Frau in dem Schrank nach Gläsern suchte, sagte er: „Keine gefangenen Russen. Freie Russen. Rotarmisten. Soldaten. Mit Gewehren über der Schulter. Zehn Kilometer hinter ihrer Frontlinie oder etwas mehr, ich weiß es nicht mehr so genau. Es ist Krieg, liebe Frau, und wie Sie sehen, bin ich nicht zu jung dafür."
    Er goß die Gläser bis an den Rand voll. Dann winkte er dem Knecht. Der schlich zögernd näher, aber Bindig munterte ihn freundlich auf: „Nun trink schon einen mit! Wer weiß, wie lange du noch lebst!"
    Er hielt sein Glas der Frau entgegen. Sie griff langsam nach dem, was er vor sie

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