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Die Stunde der toten Augen

Die Stunde der toten Augen

Titel: Die Stunde der toten Augen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harry Thürk
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sondern wir wollen Weizen anbauen und Mohn. Wir wollen nichts mit diesem ganzen Kram zu tun haben! Hauen Sie ab! Sie und die ganze Armee! Ich, die Frau aus dem letzten Gehöft von Haselgarten sage das, und ich stehe dafür ein, Herr
    Leutnant!"
    Die Frau sagte, ohne Zado dabei anzublicken: „Ich kenne Ihren Leutnant nicht."
    „Er heißt Alf und wohnt im Gehöft Nummer zwölf. Gehen Sie zu ihm. Jetzt gleich. Wir werden hier auf Sie warten. Sagen Sie ihm das, was ich gesagt habe oder was Sie sonst wollen. Wir werden warten, bis Sie zurückkommen."
    „Sie würden sehr lange warten müssen", sagte die Frau langsam, „es gibt Dinge, die man tun kann, und es gibt welche, die man nicht tun kann, wenn man zurückkommen will."
    „Sehr zum Wohl!" sagte Zado, das Glas erhebend. Er führte es zum Mund und trank es in einem Zuge aus. Dann sagte er: „Sie haben eine vernünftige Auffassung von der Welt. Und von mir verlangen Sie, daß ich eine unvernünftige haben soll? Glauben Sie nicht, daß auch ich zurückkommen möchte?"
    „Ich glaube es", sagte die Frau leise, „aber an der Front sterben jeden Tag ein paar hundert Leute, die genauso denken wie sie."
    „Ein paar tausend", verbesserte Zado sie. „Ich kann Ihnen auch sagen weshalb. Der Tod, der unerwartet und schnell eintritt, ist bequemer als der, den man als unabänderliche Folge einer bestimmten Tat voraussieht. Wenn das umgekehrt wäre, dann hätte dieser Krieg keine drei Tage gedauert. Weil es aber so ist, wird er so lange dauern, bis einer der beiden Seiten die Puste ausgeht. Wer dann noch lebt, wird zurückkommen. Vielleicht. Sicher ist heutzutage nichts."
    Die Frau wandte sich wieder dem Herd zu. Sie schob den Topf mit den Kartoffeln an die Seite und wendete das Fleisch in der Pfanne.
    Bindig sprach sie an. Er war still sitzen geblieben und hatte kein Wort gesagt. Jetzt aber glaubte er etwas sagen zu müssen. „Seien Sie ihm nicht böse", bat er die Frau, „er regt sich leicht auf. Er meint es nicht so ..."
    Die Frau wandte sich um und nickte. Ihr Gesicht war von einem Ausdruck beherrscht, der eine seltsame Mischung von Verstehen und Nachdenklichkeit, Ablehnung und Zutraulichkeit darstellte. „Ich weiß schon ...", sagte sie, „ich weiß, wie es gemeint ist. Ihr seid eigenartige Soldaten. Ich habe immer geglaubt, Soldaten wären anders. Ich scheine mich getäuscht zu haben."
    „Ist Ihnen diese Erkenntnis unangenehm?" fragte Zado.
    „Ich weiß nicht", antwortete die Frau, „sicher gibt es Soldaten verschiedener Art."
    „Vielleicht haben wir Ihre heiligsten Gefühle verletzt", sagte Zado mit einem Grinsen, „vielleicht sind Sie ein Mensch, der Helden um sich herum braucht. Es tut mir leid, wenn das so ist..."
    Die Frau sah ihn an und schüttelte den Kopf. „Es ist nicht so", sagte sie leise, „ich brauche keine Helden. Ich weiß gar nicht, was dazu gehört, ein Held zu sein. Vielleicht gibt es das, was ich mir unter einem Helden vorstelle, gar nicht. Ich hätte nichts dagegen, wenn es auf der ganzen Welt viel weniger Geschrei um Helden gäbe, dafür mehr Ruhe und gesunde Männer, die einen Acker umbrechen können und eine Frau ..." Sie verstummte und wandte sich schnell wieder dem Herd zu.
    Zado ging schweigend zum Tisch zurück. Er goß alle Gläser voll, auch das des Knechtes. Seine Augen waren stumpf, als er zu der Frau sagte: „Sie haben eine einfache Art, das Leben zu sehen. Auch die Menschen. Es würde mich interessieren, wofür Sie uns halten..."
    Die Frau nahm das Glas, das er ihr entgegenhielt. Sie sagte, ohne nachzudenken: „Für Leute, die andere töten, um nicht selbst getötet zu werden."
    Zado hob das Glas und trank. Die Frau nippte an dem Kognak und stellte das Glas vorsichtig auf den Tisch zurück. Sie begann Teller sauber zu wischen und Bestecke auszulegen. Sie winkte dem Knecht, er solle die Küche verlassen. Sie wies auf die Tür, und dann legte sie den Kopf auf eine Handfläche und schloß die Augen dabei. Der Knecht nickte eifrig und wollte sich entfernen. Aber Zado verfolgte diese Art Verständigung verwundert und sagte: „Was ist denn? Warum lassen Sie ihn nicht mitessen?"
    „Es ist Ihr Essen."
    „Gut", sagte Zado, „und es reicht für vier Leute."
    „Aber er ist nur der Knecht..."
    „Hören Sie", sagte Zado zu ihr, „dieser Mann wird einmal der einzige sein, der bei Ihnen bleibt, wenn wir fort sind. Er wird noch bei Ihnen sein, wenn hier schon längst die Russen eingezogen sind. Geben Sie ihm vorher ruhig noch ein

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