Die Stunde der toten Augen
noch immer an die Stirn und reichte die andere der Frau.
„Zadorowski", sagte er, „Obergefreiter. Rückgrat der Armee. Vater und Mutter waren anständige Leute, der Sohn wurde Soldat."
Er sah sich um und entdeckte die Gläser auf dem Tisch und die Flasche. Da glitt ein Lächeln über sein Gesicht. Er drückte die Frau wieder auf ihren Stuhl und sagte mit einem befreiten Aufatmen: „Kinder, wie ich mich freue, endlich unter normalen Menschen zu sein! Ich hatte Beklemmungen, gnädige Frau! Ich sah Sie im Dorf, und Sie machten nicht den Eindruck einer Frau, die einen Schnaps mit uns trinkt. Ist noch einer für mich da. Kleiner?"
Noch während Zado das erste Glas leerte, überlegte er sich, daß er Bindig doch sagen mußte, was aus den Feldgendarmen geworden war. Er würde es ihm auf seine Weise sagen. Die Frau saß dabei. Man wußte nicht, was für eine sie war. Er betrachtete seinen Kameraden, und er betrachtete auch die Frau, während er trank. Diese Frau war eigenartig. Sie sprach nicht viel. Sie zeigte sich weder erfreut noch verärgert durch das Auftauchen der beiden Soldaten. Ist sie so, oder tut sie nur so? fragte sich Zado.
Er sah, daß Bindig hinter der Frau herblickte, als sie zum Herd ging, um das Essen zu bereiten. Es war ein sonderbarer Blick. Bindig sah ihr nach, als sei er sehr nachdenklich über die Frau. Nicht so, wie ein Soldat hinter einer Frau herblickt, wenn er ein paar Monate keine Frau gesehen hat. Nicht hungrig nach der Frau. Aber auch wieder nicht so, als ginge ihn die Frau nichts an. Zado kannte diese Art, einer Frau nachzublicken.
Er ließ den Alkohol durch die Kehle rinnen und dachte: Bindig ist verliebt. Es ist kaum zu glauben, dachte er, aber es ist so, es ist keine Täuschung. Er erinnerte sich an die Nacht an der Brücke. Sie hatten über Mädchen gesprochen, er entsann sich. Bindig hatte selten irgendwo ein Mädchen gehabt. Er hatte auch nie viel darüber gesprochen. Aber jetzt ließ sein Gesicht keinen Zweifel darüber, was in ihm vorging. Dieser Junge gehört nicht hierher, dachte er. Er gehört am Sonnabendmittag mit einem Blumenstrauß und klopfendem Herzen vor ein Mädchenpensionat.
„Hören Sie...", rief er der Frau am Herd zu, das Glas absetzend, „wir machen Ihnen sicher viel Arbeit. Seien Sie uns nicht böse deshalb. Wir sind die besten Söhne Großdeutschlands. Wie siegen augenblicklich zwar nicht, aber wir haben trotzdem Hunger ..."
Die Frau wandte ihm das Gesicht zu. Sie sagte: „Schon gut. Ich mache das schon."
Sie sagte nicht, ob sie es gern oder ungern mache. Sie ließ nicht erkennen, was sie von ihrem Besuch hielt.
„Wir werden vorschlagen, daß Ihnen das Kriegsverdienstkreuz verliehen wird ...", lachte Zado.
Die Frau gab leise zurück: „Gottbewahre! Ich brauche keine Orden!"
„Sie würden auch keinen bekommen", sagte Zado. „Wenn Sie Zahlmeister wären, ja. So nicht. Rechnen Sie sich zu den vielen namenlosen Helden, die in unwandelbarer Treue der großen Idee unseres Führers zum Siege verhelfen. Wenn es auch nur dadurch ist, daß Sie uns ein Abendbrot kochen."
Der Knecht saß auf seiner Bank am Ofen und wiegte grinsend den Kopf. Er schielte nach der Flasche, aber Zado merkte es nicht.
„Grinse nicht!" sagte er zu dem Knecht. „Du kannst froh sein, daß du nicht kv bist. Sie hätten einen strammen Soldaten aus dir gemacht. Manchmal wäre ich froh, wenn ich so blöde wäre wie du."
Die Frau lehnte sich mit dem Rücken an den Herd. Ihre Augen blickten unentwegt auf Zado, als sie fragte: „Wie lange sind Sie Soldat?"
„Seit Kriegsanfang", gab Zado sachlich zurück.
„Und niemand hat bisher gemerkt, wogegen sich Ihr Spott richtet?"
„Sie sind die erste", antwortete Zado. „Wenn Sie wollen, können Sie daraus auf die geistigen Qualitäten meiner Vorgesetzten Schlüsse ziehen."
„Oder auch darauf, wie gut Sie es verstehen, für gewöhnlich den Mund zu halten."
Zado goß, ohne zu antworten, Schnaps in sein Glas. Er nahm es in die Hand und erhob sich. Er ging auf die Frau zu und blieb vor ihr stehen. Sie sah ihm entgegen, und er glaubte, etwas wie Spott auf ihrem Gesicht zu lesen.
„Hören Sie", sagte er langsam, „was würden Sie jetzt lieber tun: hier sitzen und sich mit dem abfinden, was ist, ein bißchen hoffen und ein bißchen Furcht haben, oder zu meinem Kompaniechef gehen und ihm sagen: Scheren Sie sich mit Ihren Soldaten fort von hier! Scheren Sie sich heim! Wir wollen nicht hier zwischen Panzern und Granattrichtern hausen,
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