Die Stunde Der Vampire
für später in die Ecke räumte.
Daran durfte ich jetzt nicht denken, auch wenn ich es durch das Plastik riechen konnte.
»Sind Sie so weit?«, fragte Stockton, der mir ein kleines Mikro durch den Türschlitz schob.
Das war ich nicht, aber ich würde es sein müssen. Ich griff nach dem Mikro, an dem ein Kabel befestigt war, das durch den Schlitz in der Tür zur Ãbertragungsausrüstung des Nachrichtenteams führte, und steckte es mir ans T-Shirt. »Geht es so?« Der Sendetechniker streckte die Daumen in die Höhe.
Ich ging die restlichen CDs durch. Eine hatte einen jugendlichen
und relativ unveränderten Michael Jackson auf dem Cover.
Ich warf Stockton einen wütenden Blick zu. » Thriller ? Sie haben mir Thriller mitgebracht?«
»Sie wissen schon. Thriller .« Er formte eine Klaue mit der Hand und knurrte, als sei er Statist in einem gewissen Musikvideo.
Der Mann besaà nicht das geringste Taktgefühl. Ich riss die Plastikfolie auf und legte die CD trotzdem ein. Doch ich spielte »Billie Jean« und drehte die Lautstärke auf.
Ich schielte aus den Augenwinkeln zu den anderen, und wie vorherzusehen gewesen war, wippten die beiden Nachrichtenleute ab dem zweiten Takt der Musik mit den FüÃen. Stockton bewegte den Kopf kaum merklich ruckweise hin und her; wahrscheinlich war es ihm noch nicht einmal bewusst. Hey, wenn die Musik einem zu tanzen befahl, musste man eben tanzen!
Duke sah aus, als würde er gleich einen Anfall bekommen; sein Gesicht verfärbte sich tatsächlich rot. Doch er konnte nichts tun, auÃer weiter herumzustehen. Sein Berater â der dem Alter nach zu schlieÃen in der Grundschule bei diesem Album ausgeflippt war und sich bestimmt noch daran erinnern konnte â verlagerte nervös das Gewicht. Als wolle er mit dem Fuà wippen, wage es jedoch nicht.
Flemmings Miene veränderte sich nicht im Geringsten.
»Geben Sie mir einfach Bescheid, wenn wir auf Sendung sind«, sagte ich zu Stockton. Er beriet sich mit dem Technikfuzzi der Crew und nickte dann rasch.
»Wir werden es rechtzeitig zu den Zehn-Uhr-Nachrichten
schaffen«, sagte er. Ich konnte mir gut vorstellen, wie der normale Sprecher die Nachrichtensendung für einen speziellen Sonderbericht von Roger Stockton unterbräche: Kitty Norville â die Enthüllungsstory.
Ganz so würde es nicht laufen. Hoffte ich. Mir blieb vielleicht eine Stunde, bevor die Wölfin vollständig das Ruder in die Hand nähme. Die musste ich nutzen.
Ich schaltete Michael aus und legte John Fogerty ein. CCRs »Bad Moon Rising« war an normalen Abenden die Titelmusik der Sendung. Ohne den Song hätte es sich einfach nicht richtig angefühlt.
Abwarten ⦠abwarten â¦
»Okay, Kitty, du bist auf Sendung in drei ⦠zwei ⦠eins â¦Â« Er zeigte auf mich. Ich drückte auf die Playtaste. Erst lieà ich die Gitarre ein paar Akkorde herunterklimpern, dann sah ich durch die Glasscheibe und blickte direkt in die Kamera.
Denk an etwas Schönes. Es war nichts anderes, als hinter dem Mikro zu sitzen. Bloà nicht über die Tatsache nachdenken, dass ich mich nicht verstecken, nicht länger anonym bleiben kann. Hier ging es um Rache, darum, den Spieà umzudrehen, und um das zu schaffen, musste ich mich im Griff haben.
Ich lächelte. »Hallo! Willkommen zur ersten im Fernsehen übertragenen Ausgabe der Midnight Hour , der Sendung, die keine Angst vor der Dunkelheit oder den Geschöpfen der Nacht hat. Ich bin Kitty Norville.«
Das Innere der Zelle war genauso hell erleuchtet wie der Bereich davor, und die Kamera war in einem Winkel auf mich gerichtet. Sie hatten sichergestellt, dass nichts blenden
würde. Alle konnten mich sehen. Meinen ganzen Körper.
»Wenn ihr nicht mit der Midnight Hour vertraut seid, dann lasst mich euch erklären, um was es bei der ganzen Sache geht. Jeden Freitagabend unterhalte ich mich ein paar Stunden lang mit Leuten im Radio. Ich nehme Anrufe entgegen, lade Gäste zu Interviews ein â Politiker, Schriftsteller, Musiker, jeden, den ich dazu überreden kann, sich mit mir zu unterhalten. Ãber was wir dann reden? Albträume: Werwölfe, Vampire, Hexen, Geister, Dämonen und Magie. All die Geschichten, die ihr mit der Taschenlampe unter der Bettdecke gelesen habt, die euch in Nächten, in denen der Wind an eurem Schlafzimmerfenster gerüttelt hat, wach gehalten haben.
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