Die Stunde Der Vampire
damit, dass der Vampir uns jeden Augenblick ertappen würde. Ich zog Luis näher an die Wand, als könnten wir uns auf diese Weise verbergen. »Luis, man hat mir zu verstehen gegeben, dass die Lage unter den Lykanthropen hier irgendwie instabil ist. Gefährlich für Fremde auf der Durchreise.«
Er legte die Stirn in Falten. »Wer hat das behauptet?«
Am liebsten hätte ich die Hände zu Fäusten geballt, so nervös war ich. Mir lagen so viele Fragen auf der Zunge, aber ich kannte ihn überhaupt nicht, wusste nicht, wie er reagieren würde, wusste nicht, worauf ich mich da einlieÃ. Doch ich sehnte mich verzweifelt nach einer weiteren Informationsquelle.
»Alette«, antwortete ich ihm.
Er schüttelte mit einem glucksenden Lachen den Kopf, doch die Geste war humorlos. »Alette, ja. Sie hält uns für Pöbel. Wieso hast du mit ihr geredet?«
Ich wand mich. »Das ist eine lange Geschichte.«
»Du solltest dich mit anderen deiner Art treffen, dir deren Version anhören. Ich werde dich zu ihnen bringen. Ganz gleichgültig, was sie dir erzählt hat: Du wirst in Sicherheit sein.«
Ich war ihm eben erst begegnet. Eigentlich hätte ich ihm nicht trauen sollen, doch meine Neugier siegte rasch über jegliche Vorsicht. AuÃerdem empfand ich noch etwas anderes â ein warmes Prickeln, das nichts mit unserer gemeinsamen Lykanthropie zu tun hatte. Ich hatte seinen Arm nicht losgelassen. Sein Körper war dem meinen so nahe, und er war süà !
»Es gibt da ein Problem. Alette hat Leo mitgeschickt, damit er auf mich aufpasst. Ich glaube nicht, dass er begeistert wäre.«
Er spitzte die Lippen, sah einen Augenblick lang ernst aus und warf einen Blick über die Schulter. »Kein Problem. Komm.«
Er hielt mich an der Hand â die seine war warm und trocken â und führte mich von dem Ausstellungssaal fort, um die Ecke zu einer Tür, durch die die Leute vom Partyservice mit ihren Tabletts voller Essen und Getränken ein-und ausgingen.
»Manche Vampire leben schon so lange wie Aristokraten«, sagte Luis, »dass sie die Dienstboten ganz vergessen haben. Diese Tür hat er bestimmt nicht im Auge.«
Und tatsächlich eilten wir ungehindert einen kahlen Betonflur entlang auf eine Feuerschutztür zu und traten auf die nächtliche StraÃe. Niemand folgte uns. Wir gingen die Mall entlang, auf der selbst nachts noch Jogger, Hundebesitzer und Leute, die vor oder nach dem Abendessen umherschlenderten, unterwegs waren. Nach etwa zehn Minuten zog ich mir die Stöckelschuhe aus und trug sie in der Hand. Meine FüÃe kribbelten auf dem Betonbürgersteig. Es war Nacht, und ich verspürte Lust zu rennen. Doch Vollmond war erst in einer Woche. Luis warf mir einen Blick zu, die Augen zu Schlitzen verengt, die Lippen zu einem schiefen Grinsen verzogen, als wüsste er, was in mir vorging.
AnschlieÃend fuhren wir ein paar Stationen mit der Metro, sodass wir etwa eine Meile nördlich von unserem Ausgangspunkt ankamen. Luis führte mich zwei Blocks weiter, dann blieb er stehen.
»Da wären wir.«
Auf einem unauffälligen Schild, in silbernen Buchstaben auf blauem Grund, von einem kleinen Strahler angeleuchtet, stand Crescent zu lesen. Durch die getönten Scheiben lieà sich nicht viel vom Innern des Ladens ausmachen.
»Oben befindet sich ein marokkanisches Restaurant. Passabel, ein wenig teuer, aber sag Ahmed nicht, dass ich das gesagt habe. Wir gehen nach unten.«
In der Tat gingen wir an den Steinstufen vorbei, die nach oben führten, und stiegen die Stufen hinab, zu einer Tür auf der Höhe des Gartens. »Ahmed?«
»Ihm gehört der Laden. Du wirst ihn kennenlernen, wenn er heute da sein sollte.«
Ich konnte die Musik schon hören, bevor Luis die Tür geöffnet hatte. Sobald er es getan hatte, drang der Sound in all seiner rhythmischen Fülle zu uns heraus. Livemusik, keine Aufnahme. Eine nahöstliche Trommel, irgendein Saiteninstrument und eine Flöte. Sie spielten kein erkennbares Lied, sondern jammten auf der Basis eines traditionell klingenden Riffs. Die Musik war schnell, fröhlich, tanzbar.
In dem Raum entdeckte ich die drei Musiker, die auf Stühlen in der Nähe der Bar saÃen: Einer war weiÃ, einer schwarz, der andere sah arabisch aus. Der ganze Laden hatte internationales Flair, und ich konnte Unterhaltungen in verschiedenen Sprachen hören.
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