Die Stunde Der Vampire
bringen, bevor ich wieder fort muss. Bisher bin ich ziemlich beschützt aufgewachsen. Einige Zeit habe ich in einem Rudel verbracht. Das ist ganz anders als das hier gewesen.«
»Du kommst aus einem Rudel?« Neugierig zog er die Augenbrauen zusammen.
Ich hatte gewusst, dass er mich unterbrechen würde, wenn ich nur lange genug schwafelte. Ich nickte ernst.
Er blickte finster drein und schüttelte den Kopf. »Das Rudel. Das ist archaisch. Früher brauchten wir es zum Schutz. Um uns gegen Jäger zu verteidigen, gegen Rivalen, gegen die Vampire. Heutzutage? Es ist leichter, einander zu bestechen. Bald wird es gar keine Rudel mehr geben, darauf kannst du dich verlassen.«
Bei dem Gedanken an Carl, meinen ehemaligen Alpha, der sein Rudel in den Ruin trieb, um sich selbst wichtig vorzukommen, hoffte ich, dass mein Gegenüber recht hatte.
»Ich heiÃe Kitty«, sagte ich.
Er zog eine Braue fragend in die Höhe. »Ein Witz?«
»Leider nicht.« Ich hatte mich nie veranlasst gesehen, meinen Namen zu ändern, bloà weil er mittlerweile eine grausam ironische Nuance dazugewonnen hatte.
Er starrte mich lange und streng an, als überlege er, ob er etwas Wertvolles preisgeben solle oder nicht. SchlieÃlich sagte er: »Fritz.«
»Schön, deine Bekanntschaft zu machen, Fritz.«
»Pah. Du wirst fortgehen, und eine Woche später werde ich mich schon nicht mehr an dich erinnern können.« Einen Moment lang betrachtete er gedankenverloren sein Glas, dann schüttelte er den Kopf. »Wenn ich es mir recht überlege, werde ich mich wohl doch an dich erinnern können. Kitty.« Er stieà ein kurzes, schnaubendes Lachen aus.
Ich musste lächeln. Es machte mir Mut, dass ihn etwas, egal was, amüsierte, und dass die eisige Mauer um ihn einen kleinen Riss zu bekommen schien.
Er leerte sein Glas, genau wie tags zuvor.
»Darfâs noch einer sein?«
Er schüttelte den Kopf und stieà seinen Stuhl zurück. »Nur einen. Dann gehe ich. Auf Wiedersehen.«
»Wohin denn?«, brach es aus mir heraus. »Ich meine, du lebst offensichtlich in D.C. Aber was machst du? Wohin gehst du?«
Ich hatte zu viel gesagt, hatte eine Grenze überschritten, bevor ich sein Vertrauen gewonnen hatte. Fritz würde sich nie wieder mit mir unterhalten. Er warf mir einen wütenden Blick über die Schulter zu und stolzierte zur Tür hinaus, wobei er sich noch tiefer in seinen Mantel hüllte.
Jack kam herüber, um die leeren Gläser einzusammeln
und den Tisch abzuwischen. »Gute Arbeit«, sagte er. »Ich bin jetzt schon seit einem Jahr hier und habe ihn noch nie mehr als ein Wort sagen hören.«
Ich benötigte mehr als ein Wort, wenn ich ihn dazu bewegen wollte, mir seine Geschichte zu erzählen. Wenn ich ihn dazu bewegen wollte, sie in meiner Sendung zu erzählen ⦠Doch ich war zu vorschnell.
Da kam Luis durch die Tür, und alle Gedanken zu dem Thema waren wie weggeblasen. Mein albernes Lächeln wurde noch alberner, als ich das gleiche Lächeln in seinem Gesicht sah. Er führte mich aus, wir aÃen Meeresfrüchte, und dann gingen wir zu ihm nach Hause. Diesmal war da kein Leo, der uns störte und die Tür aufbrach.
Am nächsten Morgen fuhr ich auf der Suche nach Dr. Flemming nach Bethesda.
Laut Briefkopf befand er sich im Magnuson Clinical Center, einem Forschungskrankenhaus aus den Fünfzigerjahren. Ich musste mich am Haupteingang des Campus anmelden, meinen Ausweis vorzeigen und so weiter. Ich sagte ihnen ganz direkt, dass ich Flemming einen Besuch abstattete. Da es auf dem Campus auch etliche reguläre Krankenhäuser gab, waren die Sicherheitsleute an Besucher gewöhnt. Sie gaben mir einen Pass und lieÃen mich hinein.
Flemmings Büro befand sich im Keller. Ich trat aus dem Aufzug auf den Korridor hinaus, unsicher, was mich erwartete. Grelles Leuchtstoffröhrenlicht strahlte auf den abgenutzten Kachelboden und die Wände in gebrochenem WeiÃ. Ich ging an einer beigefarbenen Tür nach der anderen
vorüber, die mit Plastiknamensschildern versehen waren; weiÃe Buchstaben auf schwarzen Hintergrund geprägt. Am Ende jedes Flurs gaben Sicherheitshinweise Auskunft darüber, wie man sich in einem Notfall zu verhalten hatte; rote Linien auf Gebäudegrundrissen wiesen hilfreich in Richtung des nächsten Ausgangs. Für schicke Inneneinrichtung wurden die Dollars der Steuerzahler
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