Die Stunde der Wahrheit
grellem Licht überraschter Nachtvogel dasaß, die Anspannung seines Herrn. Selbst in betrunkenem Zustand spürte er, daß etwas nicht stimmte. Seine Instinkte erwachten. Er beugte sich ein wenig vor und versuchte nach dem Ärmel seines Herrn zu greifen. Doch die Bewegung brachte ihn aus dem Gleichgewicht, und nur mit großer Mühe und einem unwürdigen Keuchen konnte er einen Sturz vermeiden. »Mylord …«
Tecumas Blick blieb weiter auf seine Schwiegertochter geheftet.
Mara war ein Abbild nervöser Unschuld. »Mein Herr Gemahl sagte: ›Almecho kann verdammt noch mal auf mich warten.‹«
Chumaka ließ seine Faust bis zum Handgelenk zwischen bestickten Kissen verschwinden, erstarrt in dem Bemühen, nach Tecumas herunterbaumelndem Ärmel zu greifen. Er konnte jetzt nicht mehr einschreiten und mußte zusehen, wie jegliche Farbe aus dem Gesicht seines Lords wich. Chumaka blickte sich in dem Raum um, in dem sich jetzt absolut nichts mehr regte. Durch den feinen Dampf, der von einem Dutzend erlesener Speisen aufstieg, betrachtete er Almechos Reaktion.
Der Kriegsherr von ganz Tsuranuanni saß reglos da; seine unbeweglichen Gesichtszüge hatten sich tiefrot verfärbt. Jede Neigung zur Toleranz verschwand, als seine Augen zu brennenden Kohlestückchen aus mühsam unterdrückter Wut wurden, und seine Antwort schnitt wie die Klinge eines Schwertes durch die Stille: »Was hat Mylord von den Acoma noch von mir gesagt?«
Mara gestikulierte hilflos mit den Händen und warf Nacoya einen verzweifelten Blick zu. »Mylords, ich … ich wage nicht zu sprechen. Ich bitte Euch, auf meinen Gemahl zu warten und ihn selbst alles erklären zu lassen.« So aufrecht, klein und bedauernswert zerbrechlich in ihrem offiziellen Gewand, wirkte das Mädchen beinahe verloren in den Kissen, auf denen sie saß. Ihr Erscheinungsbild war mitleiderregend; doch das Spiel des Rates erlaubte ein solches Gefühl nicht. Als eine Dienerin mit einer Schüssel zu ihr eilte, um ihre Stirn mit einem feuchten Tuch zu betupfen, starrte der Kriegsherr Tecuma von den Anasati an.
»Fragt sie danach, wo Euer Sohn ist, Lord, denn ich fordere, daß sofort ein Bote ausgeschickt wird, um ihn herkommen zu lassen. Wenn er mich beleidigen will, soll er das in meiner Gegenwart tun.«
Mara schickte ihre Dienerin fort. Sie bemühte sich, Haltung zu bewahren, wie ein Tsurani-Krieger bei der Ausführung seines Todesurteils, wenn auch die Anspannung sie sichtbar mitnahm. »Mylord, Buntokapi ist in seinem Haus in Sulan-Qu, doch es kann kein Bote dorthin geschickt werden, weil er es ausdrücklich verboten hat. Er schwor, den nächsten Diener, der ihn stören würde, zu töten.«
Der Kriegsherr stand auf. »Der Lord der Acoma ist in Sulan-Qu? Während wir hier auf ihn warten? Und was erwartet er, daß wir in der Zwischenzeit tun? Sprecht, Lady, und laßt nichts aus!«
Tecuma erhob sich ebenfalls, sprungbereit wie eine Schlange. »Was für ein Unsinn ist das? Sicherlich ist mein Sohn … nicht einmal Bunto kann so unverschämt sein.«
Der Kriegsherr brachte ihn mit einer raschen Handbewegung zum Schweigen. »Laßt die Lady der Acoma für ihren Gemahl sprechen.«
Mara verneigte sich. Ihre Augen wirkten zu hell, die feinen Schatten ihrer Schminke hoben sich hart gegen ihre Blässe ab. Mit einer steifen, zeremoniellen Handbewegung formte sie aus Daumen und Zeigefingern ein Dreieck. Die alte Geste erklärte, daß sie nur auf ausdrücklichen Wunsch eines Ranghöheren die Ehre kompromittierte. Alle Anwesenden wußten jetzt, daß ihre Nachricht Schande bringen würde. Die Priester, die die Speisen gesegnet hatten, standen leise auf und verließen das Zimmer. Die Musiker und Diener folgten, und bald darauf waren nur noch die Gäste zugegen, ihre Berater und die Ehrenwache des Kriegsherrn. Papewaio stand so unbeweglich wie eine Tempelstatue schräg hinter der Lady der Acoma, neben ihr saß Nacoya, genauso reglos. Mara sprach jetzt mit ruhiger Stimme: »Meine Zunge wird die Ehre dieses Hauses nicht beschmutzen. Meine Erste Beraterin war zugegen, als Buntokapi seine Anordnungen gab. Sie wird für ihn antworten – und auch für mich.« Sie bedeutete Nacoya näherzukommen.
Die alte Frau stand auf, dann verneigte sie sich mit deutlichem Respekt. Dienerinnen hatten ihr geholfen, sich für diesen Tag anzukleiden, und zum ersten Mal, seit Mara sich erinnern konnte, saßen die Nadeln in ihrem weißen Haar gerade. Doch die unpassende Erheiterung bei dieser Erkenntnis verschwand schnell, als
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