Die Stunde der Wahrheit
die alte Amme zu sprechen begann: »Mylords, bei meinem Eid und meiner Ehre, es ist wahr, was die Lady sagt. Der Lord der Acoma hat die Worte so gesagt, wie sie sie wiederholt hat.«
Ziemlich ungeduldig durch all diese Verzögerungen, selbst durch jene, die aus Höflichkeit erfolgten, ließ der Kriegsherr von Tsuranuanni seine Gereiztheit jetzt an Nacoya aus. »Ich verlange noch einmal: Was hat der Lord der Acoma noch gesagt?«
Nacoya starrte geradeaus und antwortete mit leiser und ausdrucksloser Stimme. »Mein Lord Buntokapi sagte: ›Wenn er‹, nämlich Ihr, Lord Almecho, ›nicht hier auf mich warten will, zieht er vielleicht die Needra-Ställe vor. Meinetwegen kann er sogar im Needra-Mist schlafen, falls ich nicht an dem Tag zurückkehre, an dem er hier eintrifft!‹«
Der Kriegsherr erstarrte, als wäre er aus Stein, seine Wut nur mit der Kraft seines Willens zurückhaltend. Eine lange, qualvolle Minute verging, bevor er sich an Tecuma wandte. »Euer Sohn hat sich für eine schnelle Vernichtung entschieden.« Licht flackerte in den Juwelen an Almechos Kragen, und seine Stimme grollte gefährlich. Sein Ton schwoll zu einem Schrei an, als die gewaltige Wut sich schließlich Bahn brach. Wie ein scharlachrot gestreifter Killwing, der immer höher klettert, bevor er sich nach unten auf sein Opfer stürzt, wirbelte er herum und blickte den Vater des Mannes an, der ihn derart beleidigt hatte. »Euer junger Emporkömmling möchte wohl eine Armee aus Asche zeugen. Ich werde mich auf die Stammesehre berufen. Die Oaxatucan werden aufmarschieren und die Knochen der Acoma in den Boden stampfen, den sie den ihren nennen. Dann werden wir die Erde ihrer Ahnen mit Salz bestreuen, damit auf dem Land der Acoma bis zum Ende aller Zeiten nichts mehr gedeihen wird!«
Tecuma betrachtete reglos die inzwischen erkalteten Leckerbissen. Auf den Tellern war das Shatra-Wappen aufgemalt, und der Anblick des Vogels schien ihm wie blanker Hohn, denn Buntokapis unbesonnene Worte und die Tatsache, daß er seiner Frau aufgetragen hatte, sie weiterzugeben, hatten in einem einzigen kurzen Augenblick sämtliche politischen Bemühungen beiseite gewischt. Jetzt ging es um die Ehre. Von allen ungeschriebenen Gesetzen der tsuramschen Zivilisation barg dieses die größten Gefahren.
Sollte Almecho seine Familie, die Oaxatucan, aufrufen, für eine Sache der Ehre zu kämpfen, würden alle anderen Familien des Omechan-Clans ebenso dazu aufgefordert werden. Auf der anderen Seite würde die Ehre die Mitglieder des Hadama-Clans zwingen, einen Ruf der Acoma zu befolgen. Diese Pflicht der gegenseitigen Unterstützung war einer der wichtigsten Gründe, weshalb offene Kriegserklärungen vermieden und die meisten Konflikte innerhalb der Regeln des Spiels des Rates geführt und gelöst wurden. Denn was keine andere Störung erreichen konnte, vermochte ein offener Krieg zwischen den einzelnen Clans – das Kaiserreich im Chaos versinken zu lassen. Stabilität war jedoch die oberste Pflicht der Erhabenen. Einen Clan-Krieg anzuzetteln bedeutete, den Zorn der Versammlung der Magier auf sich zu ziehen. Tecuma schloß die Augen. Ihm war übel von dem Geruch des Fleisches und der Saucen; ohnmächtig ging er in Gedanken die Liste möglicher Reaktionen durch, während Chumaka an seiner Seite vor Wut hilflos kochte. Sie wußten beide, daß Tecuma keine Wahl hatte. Almecho war einer der wenigen Lords im Kaiserreich, der sowohl die Macht besaß als auch unbeherrscht genug war, einen offenen Krieg zwischen den Clans auszulösen. Und die traditionellen Sitten verlangten von Tecuma und den anderen Familien des Hospodar-Clans, daneben zu stehen und die blutige Auseinandersetzung unbeteiligt zu beobachten; sein eigener Sohn und sein Enkel würden ausgelöscht werden, ohne daß er die Möglichkeit besaß einzuschreiten.
Die Weinsaucen in den Schüsseln schienen plötzlich Symbole des Blutvergießens zu sein, das schon bald das Haus der Acoma heimsuchen würde. Um seines Sohnes und seines kleinen Enkels willen durfte das nicht geschehen. Tecuma beherrschte seinen Drang, laut loszubrüllen. »Mylord Almecho, denkt an die Allianz. Ein offener Krieg zwischen den Clans bedeutet das Ende Eures Eroberungsfeldzuges in der barbarischen Welt.« Er hielt kurz inne, damit sein Argument sich richtig entfalten konnte, dann griff er zum nächsten Hilfsmittel, um den Zorn des Kriegsherrn zu mildern. Der Kommandeur der Streitkräfte des Kriegsherrn in der barbarischen Welt war nämlich ein
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