Die Stunde der Wahrheit
zurückzukehren.
»Das ist weise, Mistress«, sagte Nacoya in einem Ton, der verriet, daß die Lady nicht dort hätte Spazierengehen sollen, wo Sand und Tau die Seidenbänder ihrer Sandalen verunreinigen konnten. Doch dem Tadel der alten Frau mangelte es an Schwung. Ihre Augen waren traurig, und ihr Herz war schwer, so weit fort von den Gütern der Acoma. Als sie sich umwandten und wieder auf das prunkvolle Heim des Lords der Minwanabi zugingen, mit all seinen Gärten und Bannern und der möglicherweise todbringenden Versammlung von Gästen, nahm Papewaio ihren Arm und stützte sie, ohne um Erlaubnis zu fragen.
Der Empfang zur Begrüßung Almechos, des Kriegsherrn, begann am späten Morgen, wenn auch der Würdenträger, den es zu ehren galt, wahrscheinlich nicht vor dem Nachmittag erscheinen würde. Als Mara bei den Festlichkeiten eintraf, hatten sich die meisten der Edlen des Kaiserreiches bereits eingefunden, geschmückt mit Federbüschen und Juwelen und hungrig vor Ambitionen. Das Spiel des Rates durchdrang alle Aspekte des tsuranischen Lebens, wenn auch keine anderen so sehr wie außergewöhnlich kostspielige offizielle Angelegenheiten. Die Gäste mochten unter Markisen mit wunderschönen Fransen wandeln, exquisit zubereitetes Essen genießen, Klatsch und Tratsch austauschen oder Geschichten über den Heldenmut der Ahnen von sich geben, sie mochten gelegentlich auch Wetten abschließen oder Geschäfte tätigen. Doch jeder anwesende Lord betrachtete seine Standesgenossen mit prüfendem Blick, beobachtete, wer sich bei wem einschmeichelte und, ganz besonders, wer sich zurückzog, still blieb oder, was noch aussagekräftiger war, wer gar nicht da war. Wie die übrigen studierte auch Mara die Gesichter und die Farben des jeweiligen Hauses, ganz im Bewußtsein, daß sie im Gegenzug von den anderen beobachtet wurde. Der Lord der Techtalt und sein Sohn nickten ihr als Begrüßung kaum richtig zu, was bedeutete, daß bereits viele vermeiden würden, mit ihr gesehen zu werden, solange die Stellung der Acoma sich nicht stabilisiert hatte.
Mara tat den Vorfall geschickt als unwesentlich ab, indem sie Nacoya zu einem Tisch führte und einen Diener mit Erfrischungen beauftragte. Sie achtete darauf, nur Speisen zu sich zu nehmen, die sie auf den Tellern der anderen Gäste gesehen hatte, und als das Essen kam, achteten die anderen darauf, ob sie und ihre Erste Beraterin auch gut aßen oder die nervliche Anspannung ihren Appetit beeinflußte. Papewaio sah es, und er hätte gelächelt, wenn das Protokoll ihm als Ehrenwache so etwas gestattet hätte. Mara achtete selbst auf die allerkleinsten Feinheiten, denn nur das entgangene Frühstück hatte die pingelige Nacoya dazu bringen können, trotz des gewaltigen Drucks eine Erfrischung zu sich zu nehmen. Diese Vorgehensweise blieb bei jenen Gästen, die zusahen, nicht ohne Wirkung. Einige nickten in verstohlener Bewunderung, andere flüsterten heimlich in den Ecken. Wieder andere interessierten sich für die Angelegenheiten der Acoma gar nicht, sondern waren vielmehr in eigene Machenschaften verstrickt.
Mara hörte den Lord der Xacatecas mit tiefer Stimme lachen; er sagte etwas, das den dritten Sohn der Ling zusammenzucken und erblassen ließ. Die Nachkommen und Cousins der Xosai schienen überall, wohin man schaute, und die im Norden geborene Frau der Kaschatecas flirtete schamlos mit dem Ersten Berater der Chilapaningo. Der Würdenträger wirkte so steif wie getrocknete Needra-Haut; wahrscheinlich war ihm ihre Zuwendung äußerst peinlich, doch sie sprach zu schnell und faßte ihn zu fest am Ärmel, als daß er sich hätte entschuldigen und davonmachen können.
Mara ließ ihren Blick über die Menge schweifen und bemerkte die große Vielzahl an Kleidungsstilen und Hausfarben. Sie teilte die Gäste in zwei Kategorien ein: diejenigen, die Verbündete waren oder nicht stark genug, sie herauszufordern, und diejenigen, die eine Bedrohung darstellten oder sich an ihr rächen wollten. Da die Minwanabi zu den Fünf Großen Familien in Tsuranuanni zählten, hatte jedes mächtige Haus im Kaiserreich irgendeinen Repräsentanten geschickt. Mara bemerkte, daß die Keda, die Tonmargu und die Oaxatucan da waren, jeweils mit ihrem Kreis von Schmeichlern. Geringere Lords hielten sich ein wenig abseits oder trachteten danach, daß etwas von der Gunst auch auf sie abfiel. Die violette Kopfbedeckung des Lords der Ekamchi neigte sich zu seinem Ersten Berater hinab, während das rote Gewand des
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