Die Stunde der Zeitreisenden: Hourglass 1
Ich weiß nicht, ob ich mit den schlechten Nachrichten anfangen soll oder mit den guten.« Ich seufzte. »Okay. Du hattest Recht. Jonathan Landers war wirklich der Mörder.«
»Ich hab’s gewusst.«
»Das ist noch nicht das Schlimmste. Er hat in meiner Wohnung gelebt seit dem Tag, an dem wir uns kennen gelernt haben. In deiner auch.«
Michael machte ein verwirrtes Gesicht. »Ich verstehe nicht.«
»Alle anderen auch nicht. Irgendwie hat er es geschafft, auf Zeitreise zu gehen. Er hat die Brücke benutzt, die in unseren Zimmern endet. Ich dachte, er wäre ein Zeitloser. Ich hab versucht, ihn zu berühren und verschwinden zu lassen, und endete mit einer Hand voll fluoreszierendem Schleim.«
»Warum habe ich ihn nicht gesehen?«
»Weil er es nicht wollte, nehme ich an. Wahrscheinlich hat er die Brücke irgendwie manipuliert und als Versteck umfunktioniert.«
Michael starrte nach draußen, wo Jack einen Feuerwehrwagen über den Rasen winkte.
»Warum hast du mir nichts von ihm erzählt?«
Mir wurde heiß vor Scham. Diese Frage war schwieriger zu beantworten als die anderen.
Wie konnte ich Michael erzählen, dass ich Jack mit seinen Aufmerksamkeiten und Schmeicheleien für mich behalten wollte? Ich hatte ihn für eine Art Schutzengel gehalten, doch er war nichts dergleichen. Er war ein Mörder, und er war in meiner Wohnung gewesen. Er hatte mich schlafen sehen. Ich war dumm genug, ihm zuzuhören, als er behauptet hatte, er wolle mich beschützen.
»Zuerst hab ich gedacht, es wär keine große Sache. Und dann – dann fühlte es sich an wie eine Lüge. Wie etwas, das ich besser für mich behalten sollte. Da hätte ich wissen müssen, dass es falsch war.«
Er wirkte nachdenklich. »Wir haben beide Dinge voreinander geheim gehalten.«
»In deinem Zimmer, nachdem wir uns geküsst haben … da hast du gesagt, dass du mich noch einmal küssen wolltest. Aber du hast gewusst, dass du nicht zurückkommen würdest. War es nur ein Abschiedskuss?«
»Was glaubst du denn, was für ein Kuss es war?«
Ich wusste, dass ich mich später ärgern würde, ihn nicht länger in die Mangel genommen zu haben, aber meine Traurigkeit wandelte sich in übermütige Erleichterung, die die Worte nur so aus meinem Mund sprudeln ließ. Unkontrollierbar und impulsiv.
»Ich hoffe, es war ein Abschiedskuss. Denn dann wäre jetzt ein Begrüßungskuss angesagt.« Ich fingerte an meinem Schal herum. »Ich meine, ich hab dich von den Toten zurückgeholt, könnte man sagen.«
Michael starrte mich kurz an, bevor er näher trat und mein Gesicht mit den Händen umschloss. Der Stromstoß, den seine Berührung auslöste, haute mich fast um.
»Es war ein Abschiedskuss. Ich glaubte nicht, dass ich dich jemals wiedersehen würde, und ich wollte nicht sterben, ohne zu wissen, wie es sich anfühlt, dich zu küssen.« Er stöhnte. »Das klingt alles so furchtbar dramatisch.«
»War es ja auch.« Ich dachte daran, wie es mir das Herz zerrissen hatte, als ich glaubte, ich hätte ihn verloren. »Es war schrecklich.«
»Es tut mir leid.«
»Ich habe dir noch nicht verziehen.« Mir zitterten die Knie, meine Stimme bebte. »Ich weiß nicht, wie lange ich brauche, bis ich dir vergebe, oder ob ich es jemals kann, aber ich bin so glücklich, dass du jetzt hier bist.«
»Emerson …«
»Ich weiß nicht, was all das zu bedeuten hat, aber ich weiß, dass ich nicht atmen konnte, als ich dachte, du wärst tot. Es war ein Gefühl, als ob eine Hälfte von mir fehlen würde.« Ich konnte nicht aufhören zu brabbeln, mein Laufwerk war nicht nur zu langsam, sondern vollkommen im Eimer. »Ich bin siebzehn. Wie kann man mit siebzehn so etwas fühlen?«
»Em …«
»Und was Ava angeht, oder Kaleb, ich will niemanden zwischen uns haben. Ich …«
»Emerson!« Seine Stimme klang dringlich.
»Was ist?«
»Bitte hör auf zu reden.« Er senkte den Kopf, bis sein Mund fast meine Lippen berührte. »Ich kann dich nicht küssen, wenn du redest.«
Die Freude, die durch meine Adern pulsierte, löschte den Schmerz aus, ihn fast verloren zu haben. Ganz kurz kam mir die Emerson draußen auf dem Rasen in den Sinn, die Emerson, auf die nichts als Trauer und Verlust warteten.
Dann ließ ich sie los, gab mich seinem Kuss hin, seinem Körper, der jetzt real und unversehrt vor mir stand.
Wir knieten vor dem Türspalt, durch den wir alles beobachten konnten, was sich auf dem Gelände abspielte. Die Flammen waren fast erloschen. Fahrzeuge setzten zurück und hinterließen
Weitere Kostenlose Bücher