Die Stunde der Zeitreisenden: Hourglass 1
war keine körperliche Krankheit.«
»Oh.« Also meine Art von Krankheit.
»Wenn wir ihn zurückholen können, kommt sie sicher wieder in Ordnung«, sagte Michael zuversichtlich. Ein Windstoß fegte ein Gemisch aus Auspuffgasen und Chrysanthemenduft herbei. »Genau wie alles andere. Wir müssen fest daran glauben.«
Hoffentlich hatte er Recht. »Glaubst du wirklich, Jonathan Landers gibt Ruhe, wenn wir Liam retten?«
»Nein. Er hat Blut geleckt. Ich glaube, was ihn antreibt, ist sein Wunsch, so zu sein wie wir, obwohl er weiß, dass er das nicht kann. Wenn er herausfindet, dass du dabei warst, kann ich dir nicht versprechen, dass er dich in Ruhe lässt. Aber ich kann dir versprechen, dass ich alles tun werde, um ihn von dir fernzuhalten.«
Die kalte Entschlossenheit seiner Worte jagte mir einen Schauer über den Rücken. Ich fixierte die Windschutzscheibe und tippte mit den Fingern aufs Lenkrad.
Ich erwog meine Möglichkeiten.
Wenn alles, was Michael und Cat mir erzählt hatten, der Wahrheit entsprach, würde ich mithilfe meiner Fähigkeiten einen Mann retten können, einen Mann mit Frau und Sohn. Ein Mann, der sein ganzes Leben darauf ausgerichtet hatte, anderen zu helfen. Er hatte nicht nur eine Schule für Leute wie mich gegründet, sondern auch für Beschäftigungsmöglichkeiten gesorgt. Für eine Zukunft.
Dann war da Jonathan Landers. Wenn man Michael Glauben schenkte, beutete Landers die Menschen mit besonderen Fähigkeiten aus, benutzte sie für seine Zwecke. Sicher baute er ohne Skrupel auf ihre Unsicherheit und Angst, um sie zu manipulieren, damit sie taten, was er wollte. Bevor ich Michael kennen gelernt hatte, wäre ich ein perfektes Opfer gewesen.
Es war eine glasklare Entscheidung.
Ich sah Michael in die Augen und legte die Hand auf seinen Arm. »Ich bin dabei.«
Michael zuckte zusammen, entweder wegen meiner unerwarteten Berührung oder wegen meiner Worte. »Bist du sicher?«
»Wie könnte ich dir meine Hilfe verweigern, wenn es darum geht, ein Leben zu retten?« Ich zog meine Hand zurück und schob sie unter den Oberschenkel. »Und wenn ich helfen kann, dann hat es wenigstens einen Sinn, dass ich ein Freak bin.«
»Em, du bist kein …«
»Ich bin ein Freak, Michael. Genau wie du und Cat und Dune und Nate und all die, denen Hourglass geholfen hat.« Ich wollte Ava nicht mit einbeziehen. »Aber zum ersten Mal in meinem Leben ist das okay für mich. Jetzt bin ich ein Freak mit einer Aufgabe.«
»Sag mir, warum. Warum willst du helfen?« Ich spürte, welches Gewicht er auf das »warum« legte. Es war beinahe, als wäre der Grund, aus dem ich helfen wollte, wichtiger als der tatsächliche Akt der Hilfe.
»Nicht weil ich mich von dir bedrängt fühle oder wegen irgendetwas, das du gesagt hast. Vielleicht ist es einfach die Vorstellung, welche Bedeutung Liams Leben hatte, bevor er starb. Er war genau wie ich, und er hat etwas bewirkt.«
Das schien die Antwort zu sein, auf die er gewartet hatte. »Versprich mir, dass du sicher bist«, sagte er und sah mir prüfend ins Gesicht.
»Ich hab gesagt, dass ich dabei bin, und ich bin dabei. Hundert Prozent. Du brauchst mich nicht noch einmal zu fragen, okay?«
»Zu Befehl.« Michael salutierte zum Spaß, doch hinter seiner Ironie spürte ich Bewunderung. »Wenn du dabei bist, müssen wir es deinem Bruder erzählen. Alles.«
»Muss das sein?«, fragte ich und rieb mir nervös die Oberschenkel.
»Thomas vertraut mir. Ich möchte sein Vertrauen nicht missbrauchen.« Michael nahm meine Hand und hielt sie still. Hitze schoss in meinen Arm. »Was wird er wohl dazu sagen?«
»Bestimmt vergisst er darüber ganz schnell, dass ich die Nacht außer Haus verbracht habe. Ich meine im Vergleich ist das ja eine Bagatelle.« Ich grinste. »Aber im Ernst. Thomas legt mir keine Steine in den Weg. Er akzeptiert meine Entscheidungen.«
»Selbst wenn sie gefährlich sind?«
»Wir werden sehen.«
Er drückte meine Hand. »Also gut. Bist du bereit?«
»Nee.« Ich erwiderte seinen Händedruck. »Lass uns fahren.«
29. KAPITEL
I ch musste es meinem Bruder beibringen. Vielleicht glaubte er, ich hätte eine Art Rückfall und es wäre mir gelungen, Michael durch weibliche List in meine Wahnvorstellungen hineinzuziehen. Vielleicht täuschte er Gelassenheit vor, damit ich nicht noch mehr durchdrehte. Oder vielleicht wollte er mir die Hölle heißmachen, weil ich die Nacht bei Michael verbracht hatte, und meine neuesten Eröffnungen brachten ihn aus dem Konzept. Wie
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