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Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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und zuckte die Achseln. «Man kann nichts dagegen machen. So ist eben das Leben.»
    Die Kollegen murmelten zustimmend. «Così è la vita!» und «Irgendwann fallen wir alle um».
    Auch Orecchio murmelte so einen Satz, ganz gegen seinen Willen. Er wollte nicht, dass das Leben so ablief! Warum lebte man dann? Um zuzuschauen, wie alles in Trümmer fiel? Man keinen Schritt weiterkam?
    Wortlos verließ er das Wärterhäuschen. Von der Sonne geblendet, blieb er stehen. Seit er hier arbeitete, hatte die Pinie ihr Schattendach über die Einfahrt zum Resort gebreitet. Jetzt war da nichts mehr, nur nackter Himmel. Orecchio fühlte sich schutzlos. Schlimmer noch, er hatte Angst. Möglichst unauffällig schlenderte er in Richtung seines Wagens, hob hier einen Ast auf und verweilte dort kurz, als kontrollierte er Wege und Abflusskanäle. Je näher er der Auffahrt zur Villa kam, in deren Hof er seinen Fiat versteckt hatte, desto größer wurde seine Angst.
    Plötzlich traute er seinen Kollegen nicht mehr. Er konnte sich gut vorstellen, dass ein paar von denen ebenfalls nächtliche Lieferungen durchwinkten. Sehr gut sogar! Sie alle hatten Nachtdienst. Einer nach dem andern! Vielleicht beobachteten sie ihn. Vielleicht wussten alle außer ihm, dass sie gemeinsam für diese Unbekannten arbeiteten. Vielleicht war das seine Bewährungsprobe, und sie alle warteten darauf, dass er sich als verlässliches Mitglied ihrer Gemeinschaft bewies. Die brauchten jemanden, auf den sie sich hundertprozentig verlassen konnten. Das hatte der Unbekannte gesagt, der ihn damals in der Bar angesprochen hatte. Hundertprozentig. Wieder brach Orecchio der Schweiß aus.
    Er hatte nicht die geringste Ahnung, was er machen sollte. Wie ein Dieb kroch er zwischen den Büschen hindurch in den Garten des verlassenen Anwesens, beobachtete misstrauisch jede Bewegung, horchte auf jeden Laut. Doch da war nichts, nur ein paar Vögel hüpften auf dem Dach der Villa herum. Elstern. Er mochte Elstern nicht. Sie waren nicht besser als Krähen.
    Jetzt konnte er die Pakete in seinem roten Fiat sehen. Er wünschte, sie wären nicht da. Aber es half nichts, sie blieben. Er musste sie mitnehmen und an einen sicheren Ort schaffen. Aber an welchen? Er kannte keinen!
    Mit weichen Knien schlich er zu seinem Wagen hinüber und setzte sich hinters Steuer. Es dauerte ein paar Minuten, ehe er es schaffte, den Motor anzulassen. Langsam wendete er auf dem halbrunden Vorplatz der Villa und rollte hinaus.
     
    Als er auf die Hauptstraße nach Follonica einbog, wunderte er sich, wie selbstverständlich sein Abgang gewesen war. Seine Kollegen hatten ihm zugewinkt, er hatte den Arm aus dem Seitenfenster gestreckt und zurückgegrüßt. Dann war er draußen. Jetzt fuhr er. Wohin? Auf jeden Fall weg von Portotrusco. Er hatte nicht mehr viel Benzin im Tank. Sehr weit konnte er nicht fahren, wenn er nicht Gefahr laufen wollte, hängenzubleiben. Zum Tanken musste er zurück nach Portotrusco. Die kleine Tankstelle vor der Steigung, die nach Follonica hinüberführte, hatte längst Pleite gemacht. Da wuchsen inzwischen Schlingpflanzen um die verrosteten Zapfsäulen.
    Aber wohin sollte er fahren? Wahrscheinlich war es am besten, wenn er in einen der Feldwege bog, die eine Abkürzung der Einheimischen zur Via Aurelia waren. An der Hauptstraße konnte er seine Pakete nicht verstecken.
    Er nahm die nächste Abzweigung, war sich nicht einmal sicher, ob der Weg wirklich auf die andere Seite der Hügel führte, wollte nur weg von der Hauptstraße. Er fuhr durch ein grünes Tal zum Wald hinauf, dann weiter, unter Steineichen und Esskastanien hindurch. Auch hier lagen vom Sturm abgebrochene Äste herum, kratzten am Boden seines Wagens, an den Seiten. Vor einem besonders großen Ast hielt er an, machte den Motor aus und zog eine Zigarette aus dem Handschuhfach. Eine MS. Orecchio rauchte nur MS, dabei war er nicht einmal sicher, ob sie ihm schmeckten. Es hatte etwas mit einem Gefühl von Sicherheit zu tun. MS hatte es schon in seiner Kindheit gegeben. Irgendwie war diese Zigarette so ziemlich das Einzige, das verlässlich geblieben war.
    Als er sie anzündete, wurde ihm bewusst, dass seine Hand zitterte, und während er diese zitternde Hand betrachtete, begriff er, dass er in verdammten Schwierigkeiten steckte.
    Der Rauch brannte auf seiner Zunge, und er hustete heftig, als er ihn in seine Lungen zog. Trotzdem sog er ein zweites und ein drittes Mal, stieß aber den Rauch schnell wieder aus. Jetzt fühlte er

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