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Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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brüllte schon wieder. «Das liegt auf der Hand! Dafür muss ich nicht nachdenken!»
    «Bene. Ich habe keine Lust, nach Rom zu fahren. Ich möchte genau hier bleiben, Angelo. In diesem Haus. Ich wünsche mir, dass du mir die Umgebung zeigst und mir die Geschichten erzählst, die du hier erlebt hast. Ich meine, wenn wir diese Angelegenheit ganz ruhig betrachten, dann ist sie vielleicht weniger dramatisch. Nach starken Stürmen werden öfters Tote an den Strand gespült …»
    Guerrini lachte trocken auf.
    «In diesem Land ist eine Leiche am Strand ein Medienereignis! Vor allem eine Leiche, der eine Hand fehlt! Die Leiche eines Arabers! Das könnte sogar eine politische Geschichte sein … Vielleicht stecken Terroristen dahinter, radikale Muslime! Oder die Mafia hat schon wieder Konkurrenz aus dem Weg geräumt! Ein gefundenes Fressen. Das lenkt von den wahren Problemen ab!»
    Während Laura noch über eine Antwort nachdachte, näherte sich das Knattern einer Vespa, wurde lauter und verstummte auf dem kleinen Parkplatz gleich unterhalb der Terrasse. Guerrini und Laura standen auf und schauten über die Brüstung.
    «Buon giorno, Fabrizio, was gibt’s?» Guerrini hob grüßend den Arm.
    Der grauhaarige, stämmige Wachmann hielt das Gefährt breitbeinig im Gleichgewicht, den Lenker umfasste er, als könnte die Maschine ausbrechen wie ein wilder Stier.
    «Buon giorno, Dottore! Ich wollte nur nachsehen, ob bei Ihnen alles in Ordnung ist nach dem Sturm. Und ich wollte sagen, dass Sie frühestens in zwei Stunden rausfahren können. Die Riesenpinie, Sie wissen schon, die an der Hauptstraße, die ist umgefallen. Genau auf die Einfahrt. Ist verdammt viel Holz, Dottore. Und die Feuerwehr hat keine Zeit, das Ding abzusägen. Die haben nur den Verletzten rausgeholt, dann waren sie wieder weg. Wir tun unser Bestes, aber es dauert eben. Das wollte ich nur sagen, Dottore.»
    Guerrini beugte sich vor.
    «Welchen Verletzten?»
    «Der Baum ist auf einen Wagen gefallen, Dottore. Um halb vier, so ungefähr. Dummer Zufall.»
    «Hört sich so an. Wer war denn das? Kenn ich ihn?»
    «Glaub ich nicht, Dottore. Ich kenn ihn auch nicht. Hab keine Ahnung, zu wem der wollte. Orecchio weiß es auch nicht, der hatte Nachtdienst. Vielleicht wollte er nur umdrehen. Machen ja viele in unserer Einfahrt.»
    «Wie lange braucht ihr noch, was hast du gesagt?»
    «Mindestens zwei Stunden, Dottore. Wenn nicht länger. Tut mir wirklich leid.»
    «Schon gut, Fabrizio. Danke, dass du uns Bescheid gesagt hast.»
    «Ich wusste doch, dass Sie hier sind, Dottore. Einen schönen Tag noch. Buon giorno!» Er ließ den Motor der Vespa aufheulen, wendete und verschwand hinter den Bäumen.
    «Rom können wir also vergessen!», sagte Laura und dachte: zum Glück! Laut fügte sie hinzu: «Vielleicht sollten wir nachsehen, ob er noch da ist.»
    «Gut, sehen wir nach! Sonst reden wir noch zwei Stunden über ihn!» Guerrini hob einen der dicken Pinienzapfen auf und warf ihn Richtung Meer.
    «Wirfst du immer mit Gegenständen, wenn du sehr wütend bist?»
    «Nicht öfter als du, Laura. Es kommt auch vor, dass ich trete oder brülle. Zufrieden?» Er hob einen zweiten Zapfen auf.
    «Gehen wir?»
    «Gehen wir.» Er betrachtete den Zapfen in seiner Hand.
    «Sein oder Nichtsein», flüsterte Laura. Der Zapfen flog knapp an ihr vorbei und landete auf dem Dach.
     
    Er war weg. Der Strand lag vor ihnen, als hätte es nie einen Toten mit abgehackter Hand gegeben. Das Meer war jetzt etwas ruhiger und hatte dem Land ein, zwei Meter zurückgegeben. Guerrini folgte Laura zu der Stelle, an der sie die Leiche zurückgelassen hatten. Der Sand war glatt und hart. Nichts deutete darauf hin, dass hier ein Körper gelegen hatte. Eine Linie bizarrer Ornamente aus angeschwemmten Algen, Muscheln, Plastikflaschen, Paletten, Teerklumpen, Tauen, Kartons und anderen Hinterlassenschaften zog sich an der Küste entlang.
    Sieht aus, als hätte sich das Meer erbrochen, dachte Laura. Sie drehte sich nach Guerrini um und stellte belustigt fest, dass er den Strand absuchte. Weil er nach links ging, nahm sie sich die rechte Seite vor. Doch sie fand nur Plastikmüll, ein paar Milchtüten, ein Puppenbein, einen Haufen Algen mit Schwimmblasen, zwei einzelne Schuhe.
    «Glaubst du, dass die Strömung ihn wieder hinausgezogen hat?», fragte Laura, als sie sich nach ein paar Minuten wieder trafen.
    «Nein.»
    «Ich auch nicht.»
    «Bene.»
    «Was glaubst du?»
    «Nichts.»
    «Warum nichts?»
    «Weil es mich nicht

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