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Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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bewacht!» Fragend, als bitte er um Erlaubnis, weiterreden zu dürfen, sah er Guerrini an.
    «Ja, ich erinnere mich.»
    Fabrizio nickte und fuhr sich mit einer seiner breiten Hände übers Gesicht.
    «Er ist immer noch nicht wiederaufgetaucht. Er geht nicht an sein Telefonino! Seine Mutter ruft dauernd bei mir an! So was hat er noch nie gemacht, Dottore. Da stimmt was nicht! Ich mach mir ernste Sorgen, sehr ernste Sorgen! Morgen kommen die Herren vom Resort und wollen die Sturmschäden besichtigen und wissen, was mit dem Lieferwagen und dem verschwundenen Fahrer … und jetzt ist auch noch Orecchio weg! Ich weiß nicht, was ich denen sagen soll, Dottore, ich weiß es nicht!»
    «Und was hab ich damit zu tun?»
    Fabrizio zog den Kopf zwischen die Schultern und zuckte die Achseln.
    «Ich dachte nur, wenn Sie ein Commissario wären, Dottore …»
    «Ja, was dann?»
    «Dann … dann könnten Sie vielleicht nachschauen, wo Orecchio ist.»
    «Und wie soll ich das machen, Fabrizio? Davon abgesehen, dass ich wahrscheinlich gar kein Commissario bin! Selbst wenn ich einer wäre … wo soll ich nachsehen? Du wirst besser wissen als alle anderen, wo Orecchio stecken könnte. Du kennst ihn. Ich kenne ihn nicht, hab ihn nur einmal kurz gesehen. Ich kenne seine Freunde nicht, weiß nichts über seine Familie. Also, was soll das?»
    Fabrizio atmete tief ein, richtete sich dann ein wenig auf und streckte die Schultern nach hinten, endlich sah er Guerrini direkt in die Augen.
    «Sie sind doch ein Commissario! Das war kein Witz vom Conte!»
    «Santa Caterina! Würdest du uns jetzt bitte in Ruhe essen lassen, Fabrizio!»
    Der grauhaarige Wärter mit dem zerfurchten Gesicht wand seine Hände, entschuldigte sich noch einmal und ging. Doch am Fuß der Treppe drehte er sich um und rief: «Ich weiß, dass Sie uns helfen werden, Dottore Commissario!»
    Dann war er fort. Das Knattern seiner Vespa verklang, der Gestank der Auspuffgase verzog sich. Guerrini setzte sich und biss in die aufgeplatzte Feige.
    «Hier ist ja was los», murmelte Laura und machte die Augen wieder zu. «Ich glaube, jetzt kannst du mit deiner Geschichte anfangen. Jetzt waren alle da.»

 
    AM SPÄTEN NACHMITTAG desselben Tages bog ein Wagen von der Küstenstraße der Halbinsel Monte Argentario ab und rollte auf einem schmalen Parkplatz aus, der von Klippen begrenzt wurde, die steil zum Meer abstürzten. Ein junger Mann stieg aus und ging langsam zu der Mauer hinüber, die offensichtlich Unfälle verhüten sollte. Er betrachtete die Warnschilder, zündete sich eine Zigarette an und schaute übers Meer. Die Sonne hatte bereits ihre Kraft verloren und sandte mattes rosiges Licht über die Felsen und das Wasser.
    Es war kühl, und der junge Mann zog seine Jacke enger um sich. Er rauchte langsam, beobachtete einen fernen Frachter auf dem Weg nach Norden und beugte sich endlich nach vorn, um seinen Zigarettenstummel ins Meer zu werfen. Ein leichter Schauder lief über seinen Rücken, als er in den Abgrund schaute. An die hundert Meter unter ihm schlugen dunkle Wellen mit schaumigen Rändern gegen die Felswände. Der junge Mann schleuderte die abgebrannte Zigarette weit hinaus, versuchte ihren Flug zu verfolgen, verlor sie aber schnell aus den Augen.
    Auf dem Weg zu seinem Wagen blieb er an einem Busch stehen und pinkelte übermütig in hohem Bogen in die wilde Landschaft hinaus. Er lachte laut, einfach so, weil es Spaß machte. Sein Reißverschluss klemmte. Als er nach unten blickte, entdeckte er Reifenspuren, die hinaus auf den Abhang führten, der ebenfalls zum Meer abbrach.
    Er zündete eine zweite Zigarette an und sah zurück zur Straße. Es war noch kein anderes Fahrzeug vorbeigekommen. Im Sommer herrschte auf der Küstenstraße viel Verkehr, aber jetzt war alles wie tot. Vom Meer stieg feuchte Kälte zu ihm herauf. Er betrachtete die Reifenabdrücke auf der Erde genauer. Sie sahen frisch aus. Langsam folgte er der Spur, die auf dem steinigen Untergrund bald nur noch undeutlich zu sehen war.
    Hier kann kein Auto gefahren sein, dachte er, als das Gelände immer steiler wurde und er sich an Büschen und Felsen festhalten musste, um nicht abzurutschen. Aber es war eindeutig die Spur eines Wagens, die genau auf den Rand des Abhangs zuführte. Schnell wurde es zu steil, um weiterzugehen. Selbst auf allen vieren liefe man Gefahr abzurutschen. Der junge Mann kehrte um und beschloss, die Carabinieri zu benachrichtigen. Er war sicher, dass die Wagenspur direkt in den Abgrund

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