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Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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führte, direkt ins Meer. Wahrscheinlich hatte da einer sein altes Auto billig entsorgt. Aber es gab natürlich auch andere Möglichkeiten, vielleicht hatte sich jemand das Leben genommen. Oder war ermordet worden.
    Nachdenklich stieg er in sein Auto und fuhr zurück nach Porto Santo Stefano, obwohl er eigentlich zu seiner Freundin nach Porto Ercole wollte. Die Diensthabenden auf dem Revier waren nicht sonderlich begeistert von seiner Beobachtung. Ob er ganz sicher sei, dass er Wagenspuren gesehen hätte? Ganz sicher? Na ja, man würde der Sache nachgehen, aber erst am Morgen, denn im Dunkeln könnte man ohnehin in dieser Gegend nichts ausrichten. Außerdem, wenn wirklich ein Fahrzeug von den Klippen gefallen sei, dann käme sowieso jede Hilfe zu spät.
    Man dankte dem jungen Mann nicht für seine Meldung, schickte aber immerhin zwei Kollegen von der Straßenpolizei zu dem Parkplatz hinauf. Als sie später die Angaben des jungen Mannes bestätigten, forderte der Tenente für den Morgen einen Hubschrauber und ein Boot an.
     
    Frische Gnocchi mit Butter, Salbeiblättern und Parmesan, dazu fruchtiger Brunello. Laura fühlte sich nicht mehr so ausgeklinkt wie am Nachmittag, eher verwurzelt mit ihrer italienischen Herkunft. Und ein bisschen aufgeschreckt von Guerrinis Erzählungen. Aber näher bei ihm, viel näher.
    Durchs Kochen waren die Dinge wieder zurechtgerückt worden, geerdet. Sie hatte gemeinsam die köstlichen Kartoffelklößchen zubereitet. Er hatte den Tisch gedeckt, eine Kerze angezündet, Lauras Lieblingswein entkorkt und ihr einen Schluck eingeflößt, als sie mit beiden Händen den Teig knetete.
    Jetzt saßen sie satt vor ihren Tellern, auf denen die geschmolzene Butter allmählich erstarrte. Als die Stille zu mächtig wurde, dachte Laura, dass sie vielleicht am Nachmittag zu lange gesprochen hatten. Guerrini hatte endlich von seiner Kindheit erzählt, von seiner Verbindung zu diesem Haus, dieser Landschaft und seinem gebrochenen Verhältnis zu den Menschen. Einige Sätze hatten sich ihr besonders eingeprägt: «Ich hatte immer das Gefühl, als gingen in Il Bosco seltsame Dinge vor sich. Es kann an meiner ausgeprägten Phantasie gelegen haben, aber immer wieder verstummten die Erwachsenen plötzlich, wenn ich in ihre Nähe kam. Da war dieses angestrengte Lachen meines Vaters und das gönnerhafte von Conte Colalto, seinem angeblichen Freund. Meine Mutter schien alle zu verachten und schwieg die meiste Zeit. Aber sie liebte dieses Haus und die ganze Gegend. Irgendwas stimmte nicht, passte nicht zusammen, und ich konnte einfach nicht herausfinden, was es war. Aber es war etwas Bedrohliches.»
    Die Kerze auf dem Esstisch erlosch, als hätte jemand sie ausgeknipst. Ein dünner Rauchfaden stieg in die Höhe, drehte sich zu einer Spirale.
    «Danke, dass du mir so lange zugehört hast heute Nachmittag», sagte Guerrini leise.
    «Es war spannend.»
    «Vielleicht.»
    «Nicht vielleicht.»
    «Und jetzt?»
    «Jetzt liebe ich dich vielleicht ein ganz klein wenig mehr. Lass uns einen Spaziergang machen, ich habe zu viele Gnocchi gegessen. Wie wäre es mit einem Digestivo bei den Schweizern?»
    «Ah, Laura geht in Deckung. Bene. Warum zu den Schweizern?»
    «Weil wir sonst in unserer unmittelbaren Nachbarschaft niemanden kennen. Außerdem möchte ich denen ein bisschen auf den Zahn fühlen.»
    «Du hast also angebissen?»
    «Bist du hier, um etwas herauszufinden, oder waren deine Worte heute Nachmittag nicht ernst gemeint?»
    Guerrini stand auf und begann die Teller abzuräumen.
    «Es ist nicht so einfach, Laura. Ich stehe dieser Angelegenheit sehr gespalten gegenüber. Ich möchte Klarheit und auch wieder nicht.»
    «Warum auch wieder nicht?»
    «Weil es meinen Vater betrifft, vielleicht auch meine Mutter. Weil es etwas sehr Heftiges mit meinem Land, meiner Gesellschaft zu tun hat.»
    Laura antwortete nicht. Sie wusste nicht, wie sie selbst handeln würde. Ihr Vater, Emilio Gottberg, war der weise Alte auf dem Berg. Seine dunkle Seite hatte Laura noch nicht gefunden, und das wollte sie auch nicht. Sie konnte sehr gut verstehen, dass Angelo seinen alten Fernando nicht konfrontieren wollte. Schließlich stellte auch er etwas Unantastbares dar, den Partisanen, den Kämpfer für Gerechtigkeit und gegen Unterdrückung.
    «Die Schweizer haben sicher nichts mit den alten Geschichten zu tun», versuchte sie abzuwiegeln. «Dazu sind sie viel zu jung!»
    Guerrini, der gerade die Teller in die Spüle stellte, drehte sich um.

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