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Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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Griechen und Römer. Er hat ständig die klugen Sätze aus der Antike zitiert. Natürlich auf Lateinisch oder Altgriechisch. Meine Mutter und ich haben irgendwann nur noch die Augen verdreht und die Sätze mitgesprochen. Jedenfalls bei den lateinischen Zitaten. Sein Lieblingszitat war: Per aspera ad astra (Durch das Raue zu den Sternen, Anm. der Autorin). Das hat mich durch meine gesamte Schulzeit begleitet.»
    Guerrini lachte. «Macht er das immer noch, dein Vater?»
    «Nein, vor ein paar Jahren hat er herausgefunden, dass die alten Römer und Griechen auch nicht immer recht hatten, und hat damit aufgehört.»
    «Das passt zu ihm. Du hast dich übrigens auch verändert in den letzten Tagen. Ich höre gar kein Ticken mehr.»
    «Was für’n Ticken?», fragte Laura mit vollem Mund.
    «Na, das deutsche Pflichtbewusstsein.»
    «Ist weg. Ausgeklinkt.»
    «Trotz des Einbruchs in der letzten Nacht?»
    «Trotzdem.»
    «Ich versuche, dich zu verstehen, Laura. Es ist nicht ganz leicht.»
    «Dann geht es uns ähnlich.»
    «Wie, du verstehst dich auch nicht?»
    «Ich verstehe mich teilweise nicht und dich auch nicht.»
    Guerrini legte die Feige wieder weg, die er gerade essen wollte, stand auf und breitete die Arme aus. «Santa Caterina! Genau darüber möchte ich mit dir reden. Es ist verdammt nochmal nicht leicht, sich zu verstehen. Vielleicht könntest du dich in deinem Liegestuhl ausstrecken, die Augen schließen und einfach zuhören?»
    Laura schluckte. «Ist es gefährlich?»
    «Was?»
    «Das Zuhören.»
    «Möglicherweise.»
    Sie warf ihm einen prüfenden Blick zu, seufzte und schloss die Augen.
    «Also los!»
    Plötzlich wusste Guerrini nicht mehr, was er eigentlich sagen wollte. Die Vergangenheit entglitt ihm, wurde unscharf, glich plötzlich einem verunglückten Foto, auf dem die Gesichter der Menschen verschwimmen. Er musste bei sich selbst anfangen, bei seiner Verwirrung, seiner Frage, warum er mit ihr ausgerechnet an den Ferienort seiner Kindheit zurückgekehrt war. Während er auf und ab ging, war er sich bewusst, dass Laura ihn unter halbgeschlossenen Lidern beobachtete, also ließ er sich wieder in seinen Korbsessel fallen und fing einfach irgendwo an.
    «Ich fürchte, ich habe einen Fehler gemacht, Laura. Seit wir in Portotrusco sind, werde ich immer unruhiger, sogar wütend. Mir fallen die seltsamsten Geschichten ein, die ich längst vergessen hatte. Und deshalb …»
    «Hallo, ist jemand zu Hause?»
    «Nein!», brüllte Guerrini.
    Laura prustete los, hielt sich aber schnell die Hand vor den Mund.
    «Entschuldigung, wenn ich störe!» Der Eindringling kam tatsächlich die Stufen zu ihrer Terrasse herauf. Laura erkannte ihn sofort. Es war der einsame Strandwanderer, der sie vor allen möglichen Gefahren gewarnt hatte, der mit den edlen Klamotten und der dunklen Sonnenbrille. Er trug die Brille auch diesmal, hatte sie aber aufs Haar geschoben.
    «Ich bitte nochmal um Entschuldigung. Sie sind gerade beim Essen, ich will wirklich nicht stören und werde gleich wieder gehen. Ich dachte nur, dass es ganz nett wäre, wenn wir uns kennenlernen würden, nachdem wir sozusagen die einzigen Bewohner von Il Bosco sind. Außerdem wollte ich fragen, ob bei Ihnen gestern eingebrochen worden ist. Uns haben sie jedenfalls das ganze Haus auf den Kopf gestellt und zwei Fenster eingeschlagen.» Er lächelte Laura zu. «Ah, Signora, wir kennen uns bereits.»
    Laura nickte und sah dann zu Guerrini hinüber, der den Fremden stirnrunzelnd musterte.
    «Bei uns wurde nicht eingebrochen!»
    «Da hatten Sie aber Glück. Die müssen systematisch alle Häuser am Strand durchsucht haben. Mein Freund und ich sind heute Morgen aus reiner Neugier von Haus zu Haus gegangen. Überall dasselbe: eingeschlagene Fenster, zertrümmerte Türen. So schlimm war es noch nie.»
    «Haben Sie die Polizei gerufen?» Guerrini nahm eine Feige vom Tisch und betrachtete sie nachdenklich.
    «Wozu? Das bringt doch nichts! Die sagen höchstens, dass mal wieder ein paar Junkies hier durchgekommen sind, vom Strand her natürlich. Dann nehmen sie eine Anzeige auf, und das war’s dann. Die Prozedur kennen wir schon. Wenn nichts Wichtiges fehlt und wenn man keinen Polizeibericht für die Versicherung braucht, dann lohnt es sich nicht!»
    «Ah so.» Guerrini drückte die Feige, und sie platzte auf.
    «Ja, wirklich! Wir haben dieses Haus vor zehn Jahren gekauft, und seitdem wurde sechsmal eingebrochen. Sie kennen sich damit offensichtlich nicht aus? Sind Sie zum ersten

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