Die Stunde der Zikaden
mit Kunst zu tun hat. Aber das ist nur eine Vermutung.»
«Wenn’s weiter nichts ist. Das könnte sogar ich für dich erledigen, Laura.»
«Teilt euch den Spaß und sagt mir möglichst bald Bescheid.»
«Daraus schließe ich, dass du arbeitest. Konnte ja nicht anders sein!»
«Ich arbeite nicht, Claudia! Mir ist nur jemand aufgefallen.»
«Der Arme! Hat wahrscheinlich keine Ahnung, wer hinter ihm her ist.»
«Hältst du mich wirklich für einen krankhaften workaholic ?»
«Ein bisschen.»
«Okay! Ich versichere dir, dass ich Urlaub mache. Ich wandere am Strand, faulenze im Liegestuhl, schlafe lange und esse gut.»
«Wie passt dann dieser Ruben ins Bild?»
«Er ist mir über den Weg gelaufen.»
«Vielleicht sollte man in Zukunft die Urlauber warnen, wenn du in der Nähe bist. Sie sollten dir auf gar keinen Fall über den Weg laufen.»
«Ich höre von dir, ja? Und grüß Peter! Ciao!»
Laura ging zum Strand hinunter und rannte mit nackten Füßen in der kalten Brandung herum. Sie konnte sich das Dezernat nicht vorstellen, nicht mal ihr eigenes Büro.
Ausgeklinkt, dachte sie. Ich bin immer noch ausgeklinkt. Das hier ist eine ganz andere Geschichte.
Danach setzte sie sich wieder auf die Düne und las die SMS-Nachrichten von Sofia und Luca. Mehr als Wünsche für schöne Ferien waren es nicht. Sofia schrieb noch, dass sie unbedingt ein Austauschjahr in England machen wolle. Natürlich wegen ihrer Liebe zu dem jungen Iren Patrick, der dann im Gegenzug – nach ihrer Rückkehr von seiner Familie – zu ihnen nach München kommen würde.
Zu früh, dachte Laura. Es geht alles zu schnell. Was habe ich mit fünfzehn gemacht? Ihr fiel die heiße Liebe zu einem Schulfreund ein, die damals platonisch geblieben war, und sie entschuldigte sich innerlich bei ihrer Tochter.
Luca, der Große, wünschte knapp eine gute Zeit und bestellte Grüße an Guerrini. Luca wohnte schon halb bei seiner Freundin. Lauras Kinder waren eindeutig dabei, ihre eigenen Wege einzuschlagen. Sie erschienen ihr schon länger wie junge Vögel am Nestrand: Noch trippelten sie ein bisschen hin und her, waren aber kurz vor dem Abflug. Zu früh? Laura wusste es nicht, wusste nur, dass es ihr zu schnell ging und sie das Gefühl hatte, irgendwas versäumt zu haben.
Sie tippte ihre Antworten in das kleine Telefon, sandte ihnen Liebe und Sehnsucht. Ersteres stimmte, das zweite nicht so sehr. Es war gut, allein zu sein. Allein mit Angelo. Nun fehlte nur noch ihr Vater, der alte Gottberg. Sie fragte sich, warum er noch nicht angerufen hatte. Er rief immer an, vor allem in unpassenden Momenten. Plötzlich fürchtete sie sich davor, seine Nummer zu wählen. Wovor? Davor, dass es ihm nicht gut ging, dass er sie brauchte? Vielleicht rief er nicht an, um sie nicht zu beunruhigen? Er war immerhin über achtzig. Zwar zeigte er in letzter Zeit wieder eine abgeklärte, beinahe sehnsüchtige Freude am Leben, etwas, das Laura nach dem Tod ihrer Mutter nicht mehr erwartet hatte. Vor allem die neue Freundschaft mit Guerrinis Vater schien Emilio Gottberg geradezu beflügelt zu haben. Und doch erschien er Laura inzwischen fast durchscheinend, manchmal nicht mehr von dieser Welt.
Ein Rascheln zur Linken ließ sie aufschauen. Nein, sie wollte jetzt nicht bei ihrem Vater anrufen. Warum konnte sie nicht einfach abwarten. Wenn es ihm wirklich nicht gut ginge, würden ihre Kinder sie benachrichtigen. Ganz sicher. Oder sogar ihr Ex-Mann.
Doch nicht ausgeklinkt, dachte sie. Noch immer verbunden, verantwortlich. Wieder schaute sie in die Richtung, aus der das Rascheln gekommen war. Viel weiter weg bewegte sich ein Ast, etwas entfernte sich – Laura ahnte es mehr, als dass sie es erkennen konnte. Sie prägte sich die Richtung ein, blieb noch ein bisschen sitzen, erhob sich dann lautlos und schlenderte auf dem weichen Sand durch die Macchia. Sie fand frische Spuren nackter Füße, größer als die eigenen, und folgte ihnen.
Die Spuren verloren sich auf dem Kiesweg, der zwischen Häusern und Strand verlief. Trotzdem ging Laura weiter, war sicher, dass sie sich nicht in der Richtung täuschte. Einer Eingebung folgend, bog sie wieder zum Strand ab, nahm Deckung hinter einer der strohgedeckten Hütten, in denen die Villenbesitzer sich umzogen. Nur wenige Meter von ihr entfernt stand der afrikanische Händler am Strand und wandte ihr den Rücken zu. Diesmal hatte er seine schwere Tasche nicht dabei. Er war auch nicht so auffällig gekleidet wie bei ihrer ersten Begegnung, trug
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