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Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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dann, wenn sie im Sterben liegen! Bist du ganz sicher, dass der Afrikaner ins Haus von Ferruccio gegangen ist?»
    «Nicht hundertprozentig, aber es sah so aus.»
    «Ich hätte Fabrizio fragen sollen, ob Ferruccio einen Hund hat.»
    «Er hat sicher einen. Schließlich hat einer gebellt, oder?»
    «Es hätte auch der Hund der Schweizer sein können. Sie wohnen nicht weit von Ferruccio.»
    «Aber zu weit für dieses Bellen.»
    «Okay, zu weit für dieses Bellen.» Guerrini steuerte den Wagen auf den Parkplatz am Hafen von Portotrusco und wechselte abrupt das Thema.
    «Du wirst es nicht glauben, Laura, aber die kleine Bar, in der ich als Kind immer ein Eis bekommen habe, die gibt es noch. Das war für mich einer der Höhepunkte des Spaziergangs am Hafen.»
    Er lief voraus wie ein aufgeregter Junge, der sich auf ein Eis freut. Laura folgte ihm langsam. Ein Fischkutter war bereits vom Fang zurück und hatte an der Mole festgemacht. Grüppchen alter Männer drängten sich vor dem Schiff und taxierten die Beute: ein paar lächerliche Styroporkisten voller Tintenfische, deren Fangarme umhertasteten, als könnten sie einen Ausweg finden. Außerdem gab es ein paar Seezungen, einen mittelgroßen Schwertfisch und ein Kiste Sardinen.
    An Deck des ziemlich rostigen Kutters stand ein großer, kräftiger Mann mit dunklem Bart und dichten, dunklen Augenbrauen. Seine blaue Wollmütze hatte er tief in die Stirn gezogen, und seine Gummistiefel reichten ihm bis zu den Oberschenkeln. In seinen Händen hielt er einen Wasserschlauch, mit dem er den mageren Fang bespritzte. Die alten Männer lamentierten unterdessen lautstark über die schlechten Zeiten.
    «Eh, Tibero!», rief einer. «Warum fährst du überhaupt noch raus? Lohnt sich doch schon lange nicht mehr!»
    Der Fischer, dessen Name offensichtlich Tibero war, richtete drohend seinen Schlauch auf die Alten. «Verdammte alte Schwätzer!», schrie er. «Habt nichts als dummes Zeug zu reden! Verschwindet, sonst spritz ich euch weg, wie den Dreck von meinem Boot!»
    «Du wirst deinen Hochmut noch büßen, Tibero!», rief der Alte zurück, verzog sich aber mit den anderen und ging dem nächsten Kutter entgegen, der gerade den Hafen ansteuerte.
    Laura blieb stehen und schaute zu Tibero hinauf. Der zwinkerte ihr zu, lachte laut und schickte übermütig einen Wasserstrahl senkrecht in die Luft. Ein gutaussehender Mann um die vierzig, der breitbeinig auf seinem Boot stand und gerade eine Schlacht gegen die Alten von Portotrusco gewonnen hatte. Laura zwinkerte zurück, und er wollte gerade etwas sagen, als sich ein weißer Kühllaster zwischen sie schob.
     
    Guerrini behauptete, die kleine Bar am Hafen hätte sich seit seiner Kindheit nicht verändert. Nur die Besitzer hätten gewechselt. Er bestellte zwei Cappuccini, und sie setzten sich nebeneinander auf wackelige Plastikstühle an der Hauswand.
    «Kein Eis?», fragte Laura.
    «Zu viel Nostalgie ist auch nicht gut.»
    «Gab es dieses Fischernetz damals auch schon?» Laura wies auf ein großes, flaches Netz, das knapp über dem Wasser hing, und das man offensichtlich versenken konnte.
    «Natürlich gab es das. Ich habe allerdings noch nie gesehen, dass etwas damit gefangen wurde. Der Fischhändler, der damals hier unten sein Geschäft hatte, kam jedenfalls alle halbe Stunde aus seinem Laden, zog das Netz hoch und versenkte es wieder. Es waren immer nur Algen drin oder irgendwelche Abfälle. Jedenfalls, wenn ich zugeschaut habe. Ich habe mich schon damals gefragt, warum er das machte und nie aufgab.»
    Laura lachte, erzählte von Tibero und den Alten.
    «Das gab es auch immer schon: Kabbeleien zwischen den Fischern und den Zuschauern. Hier passiert nicht viel, das einzige Ereignis am Tag ist die Rückkehr der Fischkutter. Aber dafür interessieren sich vor allem die Alten. Die Jungen gehen schon lange nicht mehr zum Hafen, um zu schauen, welche Fische gefangen wurden.»
    «Luca und Sofia würden es tun.»
    «Weil sie nicht von hier sind und weil Fischkutter für sie etwas Besonderes sind.»
    «Luca hat in München manchmal stundenlang den Anglern an der Isar zugeschaut.»
    «Bene, aber er würde vermutlich nicht jeden Nachmittag zuschauen, oder?»
    «Nein, vermutlich nicht.»
    «Also ist er ein ganz normaler junger Mann.»
    Laura zuckte die Achseln. «Hast du als Junge jeden Tag den Fischern zugeschaut, wenn du hier im Urlaub warst?»
    «Natürlich nicht.»
    «Also, worum geht es dann? Verklärung der Vergangenheit?»
    Guerrini rührte etwas

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