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Die Stunde der Zikaden

Die Stunde der Zikaden

Titel: Die Stunde der Zikaden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Felicitas Mayall
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Zucker in seinen Cappuccino und leckte nachdenklich den Milchschaum vom Löffel. «Vielleicht. Es war nicht alles gut damals – irgendwas muss man doch verklären.»
    «Dass die Jungen damals besser waren? So was sagen nur alte Männer und Frauen, Angelo. Du bist noch nicht mal fünfzig!»
    Betroffen schaute er auf.
    «Danke für deine verbale Ohrfeige.»
    «Bitte.»
    Drei Möwen landeten vor ihren Füßen, griffen einander sofort an und trippelten mit bösartig vorgereckten Köpfen und hochgewölbten Flügeln hintereinander her. Guerrini stampfte mit einem Fuß auf, und die Möwen flüchteten auf die Reling eines Segelbootes.
    «Was hat dir Fabrizio vorhin eigentlich zugesteckt?»
    «Die Adresse von Orecchio.»
    «Und was machen wir mit der?»
    «Wir fahren hin.»
    «Du bist voller Überraschungen, Angelo.»
    «Daran wirst du dich gewöhnen müssen, Commissaria!»
     
    Sie hatten nicht viel Zeit. Das Abendessen auf dem Landsitz der Colaltos würde in knapp drei Stunden beginnen. Trotzdem fuhren sie zur Wohnung des vermissten Wärters und betrachteten die Namensschilder neben den Klingelknöpfen.
    «Orecchio Maddalena, Orecchio Ernesto, Crestina Maria, Scoglio Nando», las Guerrini halblaut vor. «Dann klingeln wir wohl am besten bei Maddalena. Das ist vermutlich die Mutter von Ernesto.»
    Guerrini drückte auf den glänzenden Messingknopf. Der Klingelkasten war bei weitem das Eleganteste an dem kleinen rosa Mietshaus mit dem blätternden Putz. Eine Weile blieb es still, dann wurde das Fenster gleich neben der Haustür aufgestoßen. Neugierig schaute eine ältere Frau mit rundem Gesicht, dichten grauen Locken und einer runden Nickelbrille die beiden Kommissare an.
    «Wer sind Sie? Was wollen Sie? Der Signora Orecchio geht es nicht gut. Sie kommen besser morgen wieder, oder wissen Sie vielleicht was von Ernesto? Haben Sie ihn gesehen?»
    «Ernesto! Wo ist Ernesto? Ist er da?», rief eine schwache Stimme hinter der Frau.
    «Wir versuchen ihn zu finden, Signora …?» Guerrini sprach leise, vermied das Wort Polizei.
    «Crestina Maria, das bin ich! Wir haben schon überall nach Ernesto gesucht. Er ist einfach verschwunden. Wenn er ein hübsches Mädchen wäre, dann könnte ich das verstehen, aber so! Wollen Sie reinkommen? Kommen Sie nur rein, ich mach die Tür auf!» Sie drehte sich um und redete nun mit der unsichtbaren Frau im Zimmer. «Regen Sie sich nicht auf, Signora Orecchio! Aufregen hilft gar nichts! Damals, als mein Mann nicht nach Hause gekommen ist, da hab ich mich auch aufgeregt, aber es hat nichts geholfen. Er war tot, und ich hätte es wissen können!»
    Die unsichtbare Signora Orecchio stieß einen Schrei aus, und gleichzeitig tat es einen Schlag, als wäre sie vom Stuhl gefallen. Der elektrische Türöffner summte, Guerrini und Laura traten in das dämmerige Treppenhaus, in dem ein schwacher Knoblauchduft hing. Die kleine grauhaarige Signora Crestina erwartete sie in der offenen Tür zu Maddalena Orecchios Wohnung.
    «Wahrscheinlich ist der Ernesto abgehauen, weil seine Mutter ständig hinter ihm herspioniert. Jeden Tag hab ich das mit angesehen, jeden Tag. Er hat ihr noch einen Sack Wäsche dagelassen …» Sie kicherte plötzlich. «Dreckige Wäsche!»
    Dann baute sie sich vor Laura und Angelo auf, stemmte die Fäuste in ihre runden Hüften, und ihre kleinen Augen hinter den runden Brillengläsern musterten sie von oben bis unten.
    «Euch hab ich noch nie in Portotrusco gesehen! Von der Polizei seid ihr nicht! Die kenn ich alle! Also, was?»
    «Privatdetektive.» Guerrini sah sie ernst an. «Die Verwaltung von Il Bosco hat uns beauftragt. Orecchio hatte einen wichtigen Posten. Könnte sein, dass er entführt wurde.»
    «Wichtiger Posten, dass ich nicht lache! Ich kenn ein paar von denen, die ihre Tage am Tor von Il Bosco vertrödeln. Kaum leben können die davon. Ihre Frauen müssen bei den Reichen putzen gehen!»
    «Orecchios Frau auch?»
    «Der hatte doch gar keine! Dazu hat’s bei dem nicht gereicht. Zum Wäschewaschen hatte er ja seine Mutter!» Verachtung klang aus der Stimme der Witwe Crestina.
    «Wann haben Sie den Signor Orecchio zum letzten Mal gesehen?» Guerrini betrachtete die Frau mit kaum wahrnehmbarem Missfallen.
    «Vorgestern. Aber gesehen hab ich ihn nicht, nur gehört. Und seine Mutter hat ihn auch nur gehört! Sie wollte zu ihm in die Wohnung. Er hat ja die im ersten Stock! Aber er hat nicht aufgemacht. Das macht er öfter. Meistens trommelt sie dann an die Tür und schreit

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