Die Stunde des Adlers (Thriller)
die sie sagen hörte: »Das glaube ich nicht. Beim besten Willen, doch nicht von Hartenstein!«
10.00 Uhr
Kuhns Problem entfaltete sich derweil in Dohms Büro. Nicht etwa, weil die temperamentvolle Contessa Veronica de Borquese bereits im Anmarsch zum Präsidentenflügel gewesen wäre, sondern wegen des Briefs, der vor ihm lag. Vor wenigen Minuten hatte die interne Hauspost ihm ein an ihn persönlich adressiertes Schreiben gebracht. Auf cremefarbenem Büttenpapier hatte ihm Hanns-Hermann von Hartenstein handschriftlich mitgeteilt, dass er sich abgesetzt hatte.
»Sehr geehrter Herr Bundesbankpräsident Dohm,
ich kann diese Entscheidung der Wiedereinführung der D-Mark mit meinem Gewissen nicht vereinbaren. Zudem kann ich mit niemandem außer Ihnen darüber sprechen. Ich habe mich aus diesem Grund entschieden, mich bis nach dem D-Day abzusetzen. Ich bin eben doch nicht zum Helden geboren.
Ihr Hartenstein«
Dohm konnte es einfach nicht glauben. Sein Freund aus alten Tagen? Immer wieder las Dohm die kurz und knapp abgefassten Zeilen, die eindeutig von Hanns-Hermann stammen mussten. Seine Schrift, sein privates Papier, seine Unterschrift. Immer wenn er ihn offiziell anschrieb, siezte von Hartenstein den Präsidenten und unterschrieb dann nur mit »Ihr Hartenstein«, ohne das »von« des Adelstitels zu nutzen. Außerdem hatte er Dohm erst am Dienstag noch genau das gesagt, dass er nicht zum Helden geboren war. Es war ohne Zweifel sein Schreiben, und es würde jeden Moment ganz sicher Ärger geben, denn Dohm hörte bereits Frauenstimmen im Vorzimmer.
»Frau Kuhn?« Verblüfft guckte Dohm in das Gesicht der schwarzen Pest. Er war eigens in den Sekretariatsbereich gekommen, aber nicht Veronica de Borquese stand vor ihm, sondern die Staatssekretärin.
»Sie wollte sich nicht abhalten lassen.« Frau Sandmann machte eine Bewegung, die an Missachtung für diese ungehobelten Markigen nicht zu überbieten war.
»Schon gut.«
»Herr Dohm, ich muss Sie dringend sprechen.« Ohne eine Aufforderung abzuwarten, ging sie vor in Dohms Büro, so als gäbe es die Gewaltenteilung zwischen Bundesbank und Bundesregierung gar nicht. Dohm ließ sie gewähren, denn eines wollte er auf keinen Fall riskieren: dass Anna-Maria Kuhn und Veronica de Borquese sich hier begegneten.
»Komme sofort. Muss gerade noch Frau Sandmann einen Auftrag erteilen.« Dohm winkte seine Sekretärin heran und flüsterte ihr schnell ins Ohr, dass sie die Contessa aufhalten müsse, die bereits auf dem Gelände der Bundesbank eingetroffen war. »Lassen Sie sie zu mir nach Hause fahren, Frau Sandmann«, raunte Dohm. »Und rufen Sie meine Frau an. Ich komme um 12 Uhr. Ich werde der Contessa alles erklären.«
Seine Sekretärin staunte nicht schlecht, als Dohm dann laut und unfreundlich, aber mit dem Auge blinzelnd sagte: »Und sehen Sie zu, dass ich nicht noch einmal so eine fehlerhafte Vorlage bekomme.«
»Das Personal, Frau Kuhn. Entschuldigung. Ich habe nicht viel Zeit. Worum geht es?« Er hatte sich blitzschnell überlegt, dass er ihr nichts von von Hartenstein sagen wollte.
»Ihr Mann scheint sich aus dem Staub gemacht zu haben.« Dabei wedelte sie mit einem Foto.
»Was ist das?« Dohm konnte nicht glauben, was er sah. Kuhn hatte sich von ihren anonymen Freunden ein Foto tricksen lassen, dass Hanns-Hermann von Hartenstein in Freizeitkleidung gestern am späten Abend beim Verlassen des Flughafens in Zürich zeigte.
»Das ist Ihr feiner Baron, wie er sich ausgerechnet in die neutrale Schweiz absetzt.«
»Woher wollen Sie das wissen? Vielleicht will er zur Bank für Internationalen Zahlungsausgleich nach Basel.«
»Unsinn. Das wissen Sie doch auch.« Und Kuhn wusste mehr als Dohm. Sie wusste, dass er den fingierten Brief bekommen hatte, doch er ahnte nicht, dass sie es wusste. Sie wollte mit dem Foto ein zweites Indiz dafür liefern, dass von Hartenstein abgehauen war. Dohm sollte an seinem besten Freund und Weggefährten zweifeln.
»Ich kann mir das nicht erklären, Frau Kuhn.«
»Ich aber. Die Projektgruppe wird seit Beginn der Operation D-Day auf Weisung des Bundessicherheitsrats observiert. Ihr Mann ist ein falscher Fuffziger, Dohm.« Angesichts der bevorstehenden Wiedereinführung der D-Mark entlockte ihm die Wortwahl sogar ein gequältes Lächeln.
»Oder könnten Sie mir anders erklären, warum er gestern Nachmittag bereits nicht aufgetaucht ist?« Sie warf ihm das Foto auf den Schreibtisch. »Sie sind mir verantwortlich dafür, dass das alles
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