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Die Stunde des Fremden

Titel: Die Stunde des Fremden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: West Morris L.
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Aufmerksamkeit, die ich nicht so leicht vergessen werde. Sie hat einen schweren Schock davongetragen. Jetzt fühlt sie sich gottlob schon besser, nicht wahr, mein Liebes?«
    Rossana zeigte ein strahlendes, leeres Lächeln.
    »Viel besser. Hattest du – hattest du irgendwelche Schwierigkeiten, Richard?«
    »Nein, nein. Der Inspektor war sehr rücksichtsvoll.«
    »Hat er Ihre Erklärung des Unfalls akzeptiert?« Orgagnas Frage klang bestimmt, doch keineswegs besorgt.
    »Akzeptiert hat er sie. Ich bin allerdings nicht sicher, daß er sie auch geglaubt hat.«
    »Was ließ Sie diesen Eindruck gewinnen?« Orgagnas Frage klang ein wenig zu interessiert. Seine Augen glänzten.
    Rossana sagte nichts. Sie beobachtete die beiden gespannt.
    George Harlequin hörte mit unbeteiligter Höflichkeit zu.
    Ashleys Antwort war ziemlich grob. Seine Geduld war allmählich am Ende.
    »Meine Geschichte von einem Mann, der, mir nichts, dir nichts, von einer senkrechten Straßeneinfassung vor einen Wagen kippt, schien ihm nicht ganz geheuer. Ich hatte den Eindruck, daß er geneigt war, gewisse Untersuchungen anzustellen. Jedenfalls bedeutete er mir, daß ich in Sorrent zu bleiben hätte.«
    »Wird er – wird er auch mich vernehmen wollen?« fragte Rossana.
    »Höchstwahrscheinlich.«
    Orgagna winkte ab.
    »Was hat das schon zu bedeuten, Liebes? Gewiß wird er dich um deine Aussage bitten. Das ist nun mal so üblich. Du erzählst ihm, was du weißt, und er geht damit in seine Höhle und macht zwanzig Durchschläge deiner Aussage für all die Bürokraten, die es angeht. Das ist nun mal sein Beruf. Du solltest dich nicht davon beunruhigen lassen.«
    »Es ist natürlich albern von mir.« Rossana lächelte unsicher und nippte an ihrem Cocktail.
    Orgagna bot Ashley eine Zigarette an. Harlequin gab ihm Feuer; seine blassen Augen waren voller Fragen. Doch die, die er stellte, war sicher die raffinierteste von allen.
    »Glauben Sie, daß an der Sache etwas nicht geheuer war, Ashley?«
    Beinahe hätte Ashley die Frage aus der Fassung gebracht, doch fing er sich rasch. Er wünschte den raffinierten kleinen Burschen zur Hölle und zurück. Schulterzuckend zwang er sich zu einem Lächeln.
    »Die schlichten Tatsachen sind für mich vorläufig mehr als genug. Spekulationen überlasse ich den Experten.«
    »Ein weiser Mann«, sagte George Harlequin.
    »In einem fremden Land«, wandte Orgagna liebenswürdig ein, »kommt einem alles seltsam vor. Und manchmal sogar unheimlich. Als ich zum ersten Mal nach London kam, war ich ganz bedrückt vom Glockenschlag des Big Ben. Er klang in meinen Ohren, als künde er Unheil. Ich brauchte lange, bis ich verstand, daß es eine ganz freundliche Glocke war. Eine freundliche, allgemein geliebte Glocke. Herrn Ashley geht es jetzt genauso. Er hat eine höchst beunruhigende Erfahrung gemacht. Er kann das alles einfach nicht als einen normalen Unfall ansehen. Noch steht das Bild des Vorgangs zu deutlich vor seinem geistigen Auge. Zu deutlich und zu sehr wie ein Alptraum.«
    »Wir sprechen über den Eindruck des Inspektors, nicht über meinen.« Ashley wurde der diplomatischen Spiegelfechterei allmählich müde. Der berechnende Egoismus dieser Leute erschreckte ihn. Ein Mann war tot – ein unbedeutender, unliebenswerter Bursche, gewiß, doch immerhin ein Mann mit einem Körper und einer Seele, von einer Frau geboren, von einer Frau geliebt vielleicht, und womöglich Vater von Kindern.
    Einer von diesen Leuten hier hatte seine Ermordung geplant. Die anderen waren in die Tat verstrickt, mindestens durch schweigende Billigung. Und doch standen sie da, lächelnd und gestikulierend wie Schauspieler auf einer Bühne, und bestrebt, irgend etwas in Erfahrung zu bringen, was sie in ihrer Unsicherheit trösten könnte. Am liebsten hätte er ihnen die Pest an den Hals gewünscht und wäre gegangen. Doch auch er brauchte gewisse Informationen. So blieb er also stehen, spielte die sardonische Komödie weiter und suchte in den glatten, rassigen Gesichtern nach Zeichen und Wundern. Rossana gab ihm den ersten winzigen Hinweis. Sie sah ihn bedeutungsvoll an.
    »Ich habe dich gewarnt, Richard«, sagte sie, »nicht wahr? Gib einem Neapolitaner nur die Andeutung eines Dramas, und er wird es sofort zu einem Theaterstück aufblasen. Du hättest besser daran getan, die Sache einfach zu machen. Der Mann ging die Straße entlang. Du gabst ein Hupsignal und versuchtest auszuweichen. Er sprang in die falsche Richtung … einfach und

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