Die Stunde des Jägers - EXOCET
Jahre verheiratet.«
»Das stimmt. Vater Franzose, Mutter Engländerin. Sie ließen sich scheiden, als sie noch klein war. Sie hörte an der Sorbonne Politologie und Volkswirtschaft und studierte dann ein Jahr am St. Hugh’s College in Oxford. Heiratete Villiers, nachdem sie ihn beim Maiball in Cambridge kennengelernt hatte. Hätte die Einladung zu einem Fest an einer zweitrangigen Universität besser ablehnen sollen. Wie oft hat sie für uns gearbeitet, Harry?«
»Mit meiner Beteiligung nur einmal, Sir. Vier weitere Male für Sie.«
»Ja«, sagte Ferguson. »Ein Sprachgenie. Aber nicht gut,
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wenn es wirklich hart auf hart geht, sei es physisch oder sonstwie. Eine wahre Moralistin, unsere Gabrielle. Was ist eigentlich mit ihren Angehörigen?«
»Der Vater lebt in Marseille. Ihre Mutter hat wieder geheiratet, einen Engländer. Sie leben auf der Isle of Wight. Sie hat einen Halbbruder, Richard, zweiundzwanzig Jahre. Hubschrauberpilot bei der Royal Navy.«
Ferguson griff zu einer Zigarre und setzte sich an den Schreibtisch.
»Ich habe in meinem Leben viele schöne und tüchtige Frauen kennengelernt, Harry, und Sie bestimmt auch, aber Gabrielle ist etwas Besonderes. Für jemanden wie sie kommt nur ein besonderer Mann in Frage.«
»Ich fürchte, die sind uns fürs erste ausgegangen, Sir«, sagte Fox.
»Nicht nur fürs erste. Sie waren schon immer knapp. Sehen wir mal nach, was das Foreign Office zu bieten hat.« Ferguson setzte die Brille mit den Halbmondgläsern auf.
3
Der prunkvolle Ballsaal der Argentinischen Botschaft wurde von Lüstern mit Kristallprismen beleuchtet, deren Licht sich an den teilweise verspiegelten Wänden vielfach brach. Schöne Frauen in eleganten Abendkleidern; gutaussehende Männer in Galauniformen; ein paar kirchliche Würdenträger in Scharlachrot und Purpur. Es war eine beinahe altertümliche Szene, und die Spiegel schienen verblaßte Erinnerungen an eine vergangene Epoche zu reflektieren, während die Tänzer sich ohne Ende zu gedämpfter Musik drehten.
Das Trio, das in der Ecke des Saals auf einem Podium unter einem Baldachin spielte, war gut und schien immerzu die Stükke auszuwählen, die Raul Montera liebte. All die alten Erfolgs
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schlager von Cole Porter, Rodgers und Hart, Irving Berlin. Aber er langweilte sich dennoch. Er entschuldigte sich bei der kleinen Gruppe um den Botschafter, nahm ein Glas Perrier von dem Tablett eines vorbeikommenden Kellners, schlenderte zu einer Säule und lehnte sich, eine Zigarette rauchend, lässig dagegen.
Sein Gesicht war bleich, die auffallend blauen Augen waren trotz seiner augenscheinlichen Gelassenheit ständig in Bewegung. Die schneidige Uniform saß wie angegossen, und die Orden auf seiner linken Brust wirkten eindrucksvoll. Er strahlte Energie aus, eine lauernde Rastlosigkeit, die zu signalisieren schien, daß er derartige Festlichkeiten banal fand und sich danach sehnte, in Aktion zu treten.
Die Stimme des Majordomo übertönte die allgemeine Geräuschkulisse: »Mademoiselle Gabrielle Legrand.« Montera blickte gleichgültig auf und sah sie in dem goldgerahmten Spiegel vor sich an der Wand. Sie stand im Eingang des Ballsaals. Sein Atem stockte, und er war einen Moment wie erstarrt, um sich dann langsam umzudrehen und die schönste Frau zu betrachten, die er je in seinem Leben erblickt hatte.
Ihre glänzend blonden Haare waren nicht mehr durch ein Stirnband gehalten und zu einem Knoten gebunden wie am Morgen in Fergusons Wohnung, sondern in jenem Stil frisiert, den Meistercoiffeurs coupe sauvage – wilder Schnitt – nennen: Hinten lang genug, um bis über die Schulterblätter zu hängen, vom kurz und an den Seiten in raffinierten Stufen geschnitten, umrahmten sie ein atemberaubendes Gesicht.
Die Augen waren strahlendgrün, die hohen Wangenknochen gaben ihr etwas Skandinavisches, die Lippen waren voll und makellos geformt. Sie trug ein glasperlenbesetztes, silberdurchwirktes Kleid von Yves St. Laurent, dessen unregelmäßige Saumlinie ein ganzes Stück über dem Knie lag, denn in dieser Saison war Mini wieder letzter Schrei. Sie schritt auf hochhackigen Silberpumps, und ihre Haltung strahlte eine gewisse
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unbekümmerte Arroganz aus, die zu sagen schien: Es ist mir egal, ob ihr mich attraktiv findet oder nicht.
Raul Montera hatte noch nie eine Frau gesehen, die so sehr den Eindruck machte, es notfalls mit der ganzen Welt aufnehmen zu können. Sie hatte
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