Die Stunde des Jägers - EXOCET
Gesellschaft haben, und sieh zu, daß der Kessel aufs Feuer kommt.«
Er steckte die Stetschkin zurück in den Regenmantel und reichte ihn Cussane. Das Mädchen drehte sich um und flitzte in den Wald. Der Junge kam mit der Reisetasche zurück.
»Mein Name ist Hamish Finlay, und ich stehe in Ihrer Schuld.« Er fuhr dem Knaben durchs Haar. »Sie sind willkommen, das zu teilen, was wir haben.«
Sie gingen bergauf unter den Bäumen hindurch und drangen in eine Schonung ein. »Sonderbare Gegend«, meinte Cussane.
Der Alte holte eine Pfeife hervor und stopfte sie aus einem abgewetzten Tabaksbeutel, behielt dabei die Schrotflinte unterm Arm. »Ja, das ist der Galloway. Ein Mann kann hier ver
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schwinden, vor anderen, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
»Sicher«, meinte Cussane. »Hin und wieder haben wir das alle mal nötig.«
Vor ihnen erklang ein Angstschrei, die schrille Stimme des Mädchens. Finlay hatte im Nu die Flinte in der Hand, und als sie loshasteten, sahen sie Morag, die sich im Griff eines großen, kräftig gebauten Mannes wand. Er trug wie Finlay eine Schrotflinte und einen alten, flickenbesetzten Tweedanzug. Sein Gesicht war brutal und unrasiert; unter seiner Mütze hing zottiges gelbes Haar hervor. Er starrte auf das Mädchen hinab, als ergötzte er sich an seiner Angst, lächelte schwach. Cussane empfand echten Zorn, aber es war Finlay, der die Lage klärte.
»Laß sie in Ruhe, Murray!«
Der andere Mann guckte finster, hielt sie noch fest, stieß sie dann aber mit einem gezwungenen Lächeln von sich. »Wir haben nur ein bißchen gebalgt.« Morag drehte sich um und rannte hinter ihm weg. »Wer ist denn das?«
»Murray, du stehst als Sohn meines verstorbenen Bruders unter meiner Obhut, aber habe ich dir eigentlich schon mal gesagt, daß du stinkst wie verdorbenes Fleisch im Sommer?«
Die Schrotflinte bewegte sich leicht in Murrays Griff, heißer Zorn war in seinem Blick. Cussane ließ die Hand in die Tasche des Regenmantels gleiten und fand die Stetschkin. Gelassen, fast verächtlich, steckte sich der alte Mann die Pfeife an, und Murray schien der Mut zu verlassen. Er drehte sich um und entfernte sich.
»Mein eigener Neffe.« Finlay schüttelte den Kopf. »Sie wissen ja, wie die Rede geht: ›Freunde kann man sich wählen, Verwandte nicht.‹«
»Wohl wahr«, meinte Cussane, als sie weitergingen.
»Ja, und Sie können die Hand wieder von der Pistole nehmen. Die wird nicht mehr gebraucht, Pater – oder was Sie sonst sein mögen.«
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Das Lager in der Mulde war ärmlich. Die drei Wagen waren alt und hatten geflickte Planen, und das einzige Kraftfahrzeug in Sicht war ein olivgrüner Jeep aus dem Zweiten Weltkrieg. Über allem hing eine deprimierende Atmosphäre der Armut, von den zerlumpten Kleidern der drei Frauen, die am offenen Feuer kochten, bis zu den bloßen Füßen der Kinder, die zwischen den sechs Pferden, die am Bach grasten, Fangen spielten.
Cussane schlief gut und traumlos und war völlig erfrischt, als er erwachte und Morag erblickte, die auf der Koje gegenüber saß und ihn beobachtete.
Cussane lächelte. »Hallo, guten Morgen.«
»Komisch«, sagte sie. »Eben haben Sie noch geschlafen, aber jetzt haben Sie die Augen offen und sind hellwach. Wie haben Sie das gelernt?«
»Eine lebenslange Angewohnheit.« Er warf einen Blick auf die Armbanduhr. »Es ist erst halb sieben.«
»Wir sind Frühaufsteher.« Sie machte eine Kopfbewegung zur Öffnung des Planwagens hin. Er hörte Stimmen und roch bratenden Frühstücksspeck.
»Ich habe Ihre Kleider getrocknet«, meinte sie. »Mögen Sie eine Tasse Tee?«
Sie hatte etwas Eifriges an sich, als sei sie verzweifelt bemüht, ihm zu Gefallen zu sein, etwas unglaublich Rührendes. Er streckte ihr die Hand aus und zog ihr die Scho ttenmütze etwas schräger übers Ohr. »Die gefällt mir.«
»Hat mir meine Mutter gestrickt.« Sie setzte sie ab und betrachtete sie traurig.
»Lieb von ihr. Ist sie hier?«
»Nein.« Morag setzte die Mütze wieder auf. »Letztes Jahr brannte sie mit einem gewissen McTavish durch, nach Australien.«
»Und dein Vater?«
»Verschwand, als ich noch ein Baby war.« Sie zuckte die
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Achseln. »Stört mich aber nicht.«
»Ist der kleine Donal dein Bruder?«
»Nein, sein Vater ist mein Vetter Murray. Sie haben ihn vorhin gesehen.«
»Ah, der. Du hältst wohl nicht viel von ihm.«
Sie schüttelte sich. »Bei
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