Die Stunde des Jägers - EXOCET
Mungo stieß die Zeitung über den Tisch. »Das Mädchen wird aber nicht erwähnt.«
Cussane ignorierte das Blatt. »Nicht verwunderlich.«
»So, und was können wir für Sie tun? Wollen Sie hier eine Zeitlang unterkriechen?«
»Nur für diesen Tag«, erwiderte Cussane. »Heute abend, wenn es dunkel ist , kann einer von Ihnen uns in dem alten Kombi nach Süden fahren. Legen Sie irgendwelchen Kram vom Hof in den Laderaum, verstecken Sie uns dahinter.«
Hector nickte ernst. »Warum nicht? Wohin soll’s gehen? Nach Dumfries?«
»Wie weit ist es nach Carlisle, wo die Autobahn anfängt?«
»Sechzig Meilen. Das wird allerdings nicht billig.«
»Wieviel?«
Hector warf Angus einen Blick zu und leckte sich nervös die
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trockenen Lippen. »Tausend. Sie sind heiß, mein Freund, sehr heiß.«
Cussane öffnete seine Tasche, nahm das Bündel Geld heraus, zählte zehn Fünfziger ab und legte sie auf den Tisch.
»Fünfhundert.«
»Hm, ich weiß nicht… «, setzte Hector an.
»Sei doch nicht blöd!« fuhr Angus dazwischen. »Das ist mehr Kohle auf einem Haufen, als wir seit Monaten zu Gesicht bekommen haben.« Er wandte sich an Cussane. »Ich bringe Sie selbst nach Carlisle.«
»Das wäre dann also geregelt.« Cussane stand auf. »Sie haben ein Zimmer für uns, nehme ich an.«
»Kein Problem.« Hector war übereifrig. »Sogar ein eigenes für die junge Dame.«
»Danke, wir kommen mit einem zurecht«, sagte Cussane, als sie ihm durch den gefliesten Gang und die knarrende Treppe hinauf folgten.
Hector öffnete die erste Tür am Treppenabsatz und betrat ein geräumiges Schlafzimmer, in dem es muffig und unangenehm roch und dessen geblümte Tapete voller Stockflecken war. In der Mitte stand ein altes Doppelbett aus Messing mit einer Matratze, die schon bessere Zeiten gesehen hatte, darauf ein Stapel Decken aus Armeebeständen.
»Das Klo ist nebenan«, meinte Hector. »So, ich lasse Sie jetzt allein.«
Er ging hinaus und machte die Tür hinter sich zu. Sie hörten ihn hinuntergehen. An der Tür war ein alter, rostiger Riegel, den Cussane mit einem Ruck vorschob. Gegenüber befand sich eine zweite Tür mit einem Schlüssel im Schloß. Er öffnete sie und schaute hinaus auf eine Steintreppe, die hinunter zum Hof führte. Er machte die Tür zu und schloß ab.
Er wandte sich an das Mädchen. »Geht das an?«
»Brr, der mit dem schlimmen Auge.« Sie schüttelte sich.
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»Der ist schlimmer als Murray.« Sie zögerte. »Darf ich Harry zu dir sagen?«
»Warum nicht?«
Er entfaltete rasch die Wolldecken und breitete sie auf der Matratze aus. »Was machen wir jetzt?« fragte sie.
»Wir ruhen uns aus, schlafen ein bißchen. Hier kommt niemand herein, zumindest im Augenblick nicht.«
»Meinst du, daß sie uns nach Carlisle bringen?«
»Nein, aber ich glaube nicht, daß sie etwas unternehmen, bevor es dunkel ist und wir bereit zur Abfahrt sind.«
»Wie kannst du so sicher sein, daß sie etwas unternehmen?«
»Sie sind so veranlagt. So, und du legst dich jetzt hin und versuchst, ein Auge zuzutun.«
Er legte sich im Mantel aufs Bett, die Stetschkin in der rechten Hand. Sie streckte sich auf der anderen Seite des Bettes aus. Dort blieb sie eine Weile liegen, drehte sich dann um und kuschelte sich an ihn.
»Ich hab’ Angst.«
»Psst.« Er legte einen Arm um sie. »Sei jetzt still. Ich bin bei dir. Hier kann dir niemand etwas tun.«
Sie begann langsam tief zu atmen. Er lag mit ihr im Arm da und dachte nach. Sie war bereits eine Belastung, und wie lange er das ertragen konnte, wußte er nicht. Andererseits stand er in ihrer Schuld, hatte ihr gegenüber eine moralische Verpflichtung. Er schaute hinab auf ihr reines Gesicht, das vom Leben noch ungezeichnet war: etwas Gutes in einer bösen Welt. Cussane schloß die Augen, gab sich diesen Gedanken hin und schlief schließlich ein.
»Hast du den Haufen Kohle gesehen?« fragte Hector. »Und ob«, gab Angus zurück.
»Ich habe gehört, wie er die Tür abgeschlossen hat.«
»Aber klar. Auf den Kopf gefallen ist der nicht. Ist aber egal.
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Früher oder später muß er doch raus. Und dann schnappen wir ihn.«
»Gut«, meinte Hector.
Sein Bruder goß sich noch einen Whiskey ein. »Und vergiß nicht: die Kleine gehört mir.«
Devlin, Fox, Trent und Brodie fuhren in einem alten blauen Ford Transit, den sich der Polizeisergeant bei einer Werkstatt geliehen hatte, von
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