Die Stunde des Jägers - EXOCET
es dir?« fragte sie besorgt.
»Gut.« Das war eine Lüge, denn die Schmerzen waren nun, da sich der erste Schock gelegt hatte, beträchtlich. Er nahm eine Ampulle Morphium des Typs, der auf dem Schlachtfeld verwendet wird, und gab sich eine Spritze. Daraufhin ließen die Schmerzen ziemlich rasch nach.
»So, das war’s«, meinte er. »Gib mir bitte ein sauberes Hemd. Es sollte noch eins übrig sein.«
Sie half ihm in Hemd, Jacke und Regenmantel. »Du mußt zum Arzt.«
»Aber klar«, versetzte er. »Bitte, Herr Doktor, helfen Sie mir! Das erste Instrument, nach dem er greift, ist das Telefon.«
»Was tun wir jetzt? Die Jagd auf dich beginnt nun ernsthaft. Alle Straßen werden überwacht.«
»Ich weiß«, erwiderte er. »Sehen wir uns einmal die Karte an.« Nach einer Weile sagte er: »Zwischen uns und England liegt der Solway-Meeresarm, und es gibt nur eine einzige Hauptstraße, die nach Carlisle über Dumfries und Annan. Kein Problem, sie zu blockieren.«
»Wir sitzen also in der Falle?«
»Nicht unbedingt. Es gibt immer noch die Eisenbahn. Viel
leicht bietet sich da eine Chance. Fahren wir los und sehen zu,
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was wir ausrichten können.«
»Schöne Sauerei«, sagte Ferguson. »Könnte nicht schlimmer sein. Wie geht es Harry Fox?«
»Der kommt durch, wie die Arzte meinen. Er liegt hier in Dumfries im Stadtkrankenhaus.«
»Ich werde dafür sorgen, daß er so bald wie möglich nach London verlegt wird. Er soll die bestmögliche Behandlung bekommen. Von wo aus rufen Sie an?«
»Ich bin im Polizeihauptquartier von Dumfries. Trent steht neben mir. Es werden alle verfügbaren Beamten mobilisiert, zur Bemannung von Straßensperren und so weiter. Leider ist das Wetter nicht sehr günstig. Es gießt noch immer in Strömen.«
»Wie schätzen Sie die Lage ein, Liam?«
»Meiner Ansicht nach ist er fort.«
»Sie glauben also nicht, daß er da oben ins Netz geht?«
»Das halte ich für völlig ausgeschlossen.«
Ferguson seufzte. »Offen gesagt, dieses Gefühl habe ich auch. Bleiben Sie noch eine Weile bei Harry, nur sicherheitshalber, und kommen Sie dann zurück.«
»Wann – heute abend noch?«
»Nehmen Sie den Nachtzug nach London. Der Papst trifft morgen früh um acht auf dem Flughafen Gatwick ein. Ich hätte Sie gerne bei mir.«
Cussane und Morag ließen den Jeep in einem kleinen Steinbruch im Wald über Dunhill stehen und gingen bergab auf die Bahngleise zu. An diesem Ende der Kleinstadt waren die Straßen wegen des starken Regens verlassen. Sie kamen an einem halbverfallenen Lagerhaus vorbei, dessen Fenster mit Brettern vernagelt waren, und zwängten sich durch eine Lücke im Zaun oberhalb der Schienen. Auf einem Nebengleis stand ein Güterzug. Cussane duckte sich und beobachtete einen Lokführer, der am Gleis entlangging und dann auf die Lok kletterte.
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»Aber wir wissen doch gar nicht, wo der Zug hinfährt«, gab Morag zu bedenken.
Cussane lächelte. »Steht er nicht in Richtung Süden?« Er packte sie am Arm. »Los!«
Sie eilten in der Dämmerung die Böschung hinunter und überquerten die Schienen, als der Zug auch schon anfuhr. Cussane verfiel in Laufschritt, langte nach oben und zog eine Schiebetür auf. Er warf die Tasche hinein, zog sich hoch, drehte sich um und ergriff die Hand des Mädchens. Einen Augenblick später stand sie neben ihm. Der Waggon war fast ganz mit Kisten gefüllt, die der Schablonenaufschrift zufolge teilweise für eine Fabrik in Penrith bestimmt waren.
»Wo liegt das?« fragte Morag.
»Südlich von Carlisle. Von dort aus kommen wir weiter, selbst wenn der Zug dann nicht weiterfährt.«
Er setzte sich, war einigermaßen guter Dinge und zündete sich eine Zigarette an. Sein linker Arm war zwar taub, aber er konnte ihn gebrauchen. Wenigstens hatte das Morphium die Schmerzen gestillt. Morag kuschelte sich an ihn, und er legte einen Arm um sie. Es war lange her, seit er einen solchen Beschützerinstinkt empfunden hatte. Er gestand sich, daß er sich schon lange nicht mehr so um einen Menschen gekümmert hatte.
Sie hatte die Augen geschlossen und schien zu schlafen. Dank des Morphiums waren die Schmerzen noch nicht zurückgekehrt, und wenn das eintrat, würde er schon damit fertig werden. Sein Verbandskasten enthielt mehrere Ampullen, auf jeden Fall genug, um ihn in Form zu halten. Mit einer Kugel in der Schulter und ohne ärztliche Versorgung war Vereiterung nur eine Frage der
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