Die Stunde des Löwen
hatte, harmonierte nicht mit der farbenfrohen Kleidung.
»Lust, reinzukommen?« Er machte eine einladende Handbewegung und trat einen Schritt zur Seite.
»Lieber nicht. Bin eh schon spät dran. In zwanzig Minuten beginnt meine Schicht.« Noch vom FuÃabstreifer aus drückte ihm Liliana Bode eine weiÃe Plastiktüte in die Hand. »Ich hoffe, du magst chinesisches Junkfood. Garantiert glutamatfrei. Hab dir vom Chinaimbiss um die Ecke die sogenannten âºAcht Schätzeâ¹ mitgebracht.«
Bemüht, sich die Enttäuschung, dass sie ihn gleich wieder verlassen wollte, nicht anmerken zu lassen, schaute er auf die Plastiktüte. Essensdämpfe strömten aus der Ãffnung, und durch die hauchdünne Tütenwand zeichneten sich die Konturen einer Aluminiumschale ab.
»Was bin ich dir schuldig?«, fragte er und stellte das Gericht auf der Arbeitsplatte der Kochnische ab.
»Betrachte es als milde Gabe für einen leidenden Patienten.«
»Warum kümmerst du dich um mich?«
»Schon vergessen? Du hast mich drum gebeten. Du hast ziemlich verzweifelt geklungen, als du mich angerufen hast.«
»Wann sehen wir uns denn wieder?«
Liliana Bode stieà ein leises Lachen aus. »Meinst du, ich mach jetzt für dich Essen auf Rädern?«
»Nein. Ich würd mich nur gern für deine Hilfe revanchieren. Vielleicht können wir ja morgen zusammen essen gehen?«
Mit einer Mischung aus Unglauben und Belustigung schaute sie ihn an. »In deinem Zustand kannst du nirgendwohin gehen. Kurier dich erst mal aus. AuÃerdem fahre ich morgen für drei Tage nach München. Han hat mir freigegeben.« Sie machte eine kleine Pause, in der ihr Blick eine Spur ernster wurde. »Ãberraschungsbesuch bei meinem Freund. Raoul ist gerade als Trainee bei BMW . Klar, was ich damit sagen will?«
Einen dermaÃen gewaltigen Wink mit dem Zaunpfahl zu verstehen war keine groÃe Kunst. Nachdem Liliana Bode mit einem leisen »Na, dann machâs mal gut« im Lift verschwunden war, wäre er am liebsten vor Scham im Boden versunken. Geknickt setzte er sich an den kleinen Tisch unter dem Fenster. Als er den Deckel von der Aluschale nahm, stieg ihm eine würzige Dampfwolke in die Nase. Neben einigen für ihn undefinierbaren Zutaten schwammen verschiedene Sorten Fleisch, Paprikawürfel, Morcheln, Shiitakepilze und Bambusstreifen in der dunklen SoÃe. Lustlos stocherte er mit der Plastikgabel in der Masse herum. Als er etwa ein Drittel der Portion gegessen hatte, verlieà ihn der Appetit.
Was dachte sie jetzt nur von ihm?
Zornig auf die Welt und in erster Linie auf sich selbst zerschlug er den Glückskeks, den er neben die Aluminiumschale auf den Tisch gelegt hatte. Zwischen den Bröseln kam der obligatorische Zettel zum Vorschein. »Heute wird die Sonne für dich scheinen« , stand darauf geschrieben.
Mit dem Papierchen in der Hand stellte er sich ans Fenster. Dunkelheit hatte sich über die Stadt gelegt. Nur das leise und stete Rauschen des Verkehrs drang an seine Ohren. Er richtete seine Gedanken auf den Ãberfall der vergangenen Nacht und zerriss die lächerliche Botschaft in kleine Fetzen. Allem Anschein nach hatte Rosen ihm die beiden Männer auf den Hals gehetzt. Erneut drängte sich ihm die Frage auf, wie er auf den Einschüchterungsversuch reagieren sollte. Diesmal allerdings hatte er die Antwort klar und deutlich vor Augen: Den Schwanz würde er keinesfalls einziehen. Sobald es seine körperliche Verfassung einigermaÃen zulieÃ, würde er sich Rosen zur Brust nehmen und ihn zur Rede stellen.
*Â *Â *
Im Konferenzraum konnte man die Luft beinahe schneiden. Dem geringen Sauerstoffgehalt nach zu urteilen war dort schon seit Tagen nicht mehr gelüftet worden. Mit energischen Schritten eilte Mannfeld zu einem der Fenster. Nachdem sie es geöffnet hatte, setzte sie sich an der u-förmig angeordneten Tischreihe an einen Platz nahe der Eingangstür.
AuÃer Born waren nur die Kollegen Schilling und Schwertfeger anwesend. Während Born am Stehpult schweigend Unterlagen sortierte, unterhielten sich die beiden Kommissare leise am anderen Ende der Tischreihe.
Die Nächsten, die eintrudelten, waren Leitmann und Jones, auÃer ihr die beiden einzigen Frauen der am Morgen neu formierten Ermittlungsgruppe.
Die Wartezeit auf die drei noch fehlenden Kollegen nutzte Mannfeld, um sich die vor etwa einer Stunde
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