Die Stunde des Löwen
dass ihr Telefon seit Betreten der Arztpraxis ausgeschaltet gewesen war. Nach Eingabe der PIN hatten sie nicht weniger als sechs SMS erreicht. In der letzten von Borns Nachrichten stand: »Jula, melde dich endlich! Bei uns ist die Kacke auch am Dampfen.«
Als sie endlich im Präsidium eingetroffen war, hatte er gerade versucht, Susana Rossi zu beruhigen. Mit hysterischer Stimme beschimpfte sie ihn als Versager und zeterte, Deutschland sei schlecht zu ihrer Schwester gewesen und habe ihr nur Unglück gebracht. Erst habe sie ihr Bein verloren, und nun sei sie in diesem ScheiÃland auch noch ermordet worden. Nachdem es ihnen gelungen war, sie ein wenig zu beruhigen, hatten sie sich erkundigt, wie Fátima de Zosas Verhältnis zu Männern gewesen war. »Nicht vorhanden«, lautete die Antwort, da sich niemand für sie interessiert habe.
Nachdem Susana Rossi gegangen war, hatte Born Mannfeld auf den neuesten Stand der Ermittlungen gebracht. Er erzählte ihr, dass der Täter sein Opfer diesmal brutal misshandelt und ihm die Kehle durchgeschnitten hatte. Und dass die Kriminaltechnik keine persönlichen Gegenstände wie Ausweispapiere oder ein Handy bei der Toten gefunden hatte. Ein Rätsel stellte auch die verschwundene Unterschenkelprothese dar, denn es war äuÃerst unwahrscheinlich, dass die Portugiesin das Haus ohne sie verlassen hatte. Mitten in der Diskussion darüber, ob der Täter die Prothese vielleicht als Trophäe behalten haben könnte, hatte sie schlieÃlich der Anruf von Sonja Romanowa erreicht.
»Entschuldigung, dass ich Sie so lange habe warten lassen«, sagte Sonja Romanowa, nachdem sie aufgelegt hatte. »Eine komplizierte Familienangelegenheit in meiner alten Heimat. Darf ich Ihnen vielleicht einen Tee anbieten?« Lächelnd deutete sie auf einen Samowar, der auf einem silbernen Tablett auf dem Bistrotischchen in der Ecke stand.
Nachdem sie beide halb im Chor abgelehnt hatten, sagte Mannfeld: »Vorhin am Telefon haben Sie uns erzählt, dass Sie Fátima de Zosa kennen.«
»âºKennenâ¹ ist vielleicht ein wenig übertrieben. Vor Jahren hat sie bei mir einen Kurs besucht. Sie war aber nur mäÃig begabt.«
»Mittlerweile ist Fátima de Zosa leider tot.«
»Tot«, wiederholte Sonja Romanowa. »Hatte sie einen Unfall?«
»Nein, sie ist ermordet worden.«
»Ermordet? Das ist ja grauenhaft. Und ich sage noch etwas Negatives über ihre künstlerischen Fähigkeiten.«
»Wir vermuten, dass ihre Ermordung in Verbindung mit zwei anderen Taten steht, die hier in Frankfurt verübt wurden. Lesen Sie Zeitung?«
»UnregelmäÃig«, antwortete Sonja Romanowa und strich sich über ihre kurz geschnittenen grauen Haare. »Die letzten beiden Tage war ich ständig unterwegs. Da bin nicht dazu gekommen.«
Mannfeld zeigte ihr auf dem Display ihres Smartphones die Fotos von Selma Tassen und Martha Rosen. »Kennen Sie diese beiden Frauen?«
»Ja, natürlich, die waren mit Fátima de Zosa im Anfängerkurs. Und im Semester darauf besuchten die Damen den Aufbaukurs. Danach hat nur noch Selma Tassen weitergemacht. Sie war die Begabteste. Sind die anderen beiden auch �«
Mannfeld nickte. »Wir haben in der Hinterlassenschaft aller drei Opfer Aktbilder gefunden.«
»Das wundert mich nicht. Die Aktmalerei ist fester Bestandteil unseres Programms. Die Schüler lernen durch sie, ein Gespür für Proportionen zu entwickeln.«
»Wir interessieren uns für den Mann, der dem Kurs damals Modell stand.« Mannfeld blätterte auf dem Display bis zu dem Foto des Aktbilds, das sie in Fátima de Zosas Wohnung aufgenommen hatte.
»Ich erinnere mich gut an ihn. Er war sehr muskulös und hatte einen tätowierten Löwenkopf auf der Hüfte.«
»Können Sie uns sagen, wie er heiÃt?«
»Ja, Alexander.«
»Und der Nachname?«
»Den kenne ich nicht.«
»Die Adresse?«
»Die habe ich leider auch nicht. Ich weià so gut wie nichts über ihn. Amelie Bruckner hatte ihn in den Kurs mitgebracht. Er sei ein Bekannter, sagte sie, der gern mal Modell stehe. Und da wir ihn nicht bezahlen mussten, habe ich das Angebot dankend angenommen.«
»Amelie Bruckner.« Sie notierte den Namen auf ihrem Block. »War sie eine der Kursteilnehmerinnen?«
Sonja Romanowa nickte. »Es war ein kleiner Kurs. Er bestand nur aus vier Frauen.
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