Die Stunde des Mörders: Roman (German Edition)
Rennie und imitierte Logan, indem er sich neben den Toten hockte, »wie kommen die nun darauf, dass es eine Überdosis war?«
»Ist diese Frage ernst gemeint?«
Rennie blickte verdutzt auf. »Was denn? Nur weil er schon länger Probleme mit Drogen hatte und …« Er verstummte, als er sah, worauf Logans Finger zeigte: eine kleine Einwegspritze, die noch in Jamies linker Armbeuge steckte. »Mein Gott, das ist ja echt heftig!«
»Äh … Sergeant?« Es war wieder der mit dem schmutzig grauen Schnauzer. Er hielt seinen Leichensack an sich gedrückt wie eine Wärmflasche. »Wir müssen ihn jetzt wirklich ins Leichenschauhaus schaffen.« Logan ließ sie ihre Arbeit machen.
Im Verwaltungstrakt des Gefängnisses fand er die Sozialarbeiterin, die für Jamie McKinnon und weiß Gott wie viele andere zuständig war, über ihrem Schreibtisch zusammengesackt und damit beschäftigt, einen Notizblock mit grimmigen Totenköpfen und gekreuzten Knochen vollzukritzeln. Sie war die einzige Person im Raum. Wenn Logan geglaubt hatte, das Gefängnis selbst sei schmuddelig und deprimierend, musste er nun feststellen, dass es, verglichen mit den Büros des anstaltseigenen Sozialdienstes, geradezu ein Luxushotel war: ein umgebauter Werkraum mit bedrückender Neonbeleuchtung, schmutzigen gelbgrauen Deckenfliesen, abblätternder Farbe und einem Teppichboden, der so verschlissen war, dass man die einzelnen Fäden sehen konnte. Aktendeckel und Körbe voller Papiere stapelten sich an der Wand zwischen dem hohen, vergitterten Fenster und einem Poster mit dem Spruch MAN MUSS NICHT VERRÜCKT SEIN, UM HIER ZU ARBEITEN, ABER ES HILFT . Jemand hatte mit blauem Filzstift den Zusatz VOR ALLEM, WENN MAN VORHAT, LÄNGER ZU BLEIBEN daruntergekritzelt. Das einzig Lebendige war ein Grüppchen kränkelnder Topfpflanzen, deren bräunliche Blätter verrieten, dass auch sie sich der lähmenden Atmosphäre von Hoffnungslosigkeit und Verwahrlosung nicht entziehen konnten. Logan nahm auf der anderen Seite des Schreibtischs Platz und fragte die Frau nach Jamie McKinnon.
Sie sah müde aus, mit dunklen Ringen unter den Augen, und die Spitze ihrer langen, geraden Nase war erdbeerrot, als hätte sie sich jahrelang ununterbrochen geschnäuzt. »Wundervoll, nicht wahr? Als ob ich nicht schon im Papierkram ersaufen würde!« Ein Seufzer. Dann rieb sie sich mit beiden Händen das Gesicht. »Tut mir leid, wir sind unterbesetzt – ist schon fast der Normalzustand hier; eine im Mutterschutz, zwei liegen mit Burn-out auf der Nase, und eine hat vor vier Monaten gekündigt, und die Stelle ist immer noch nicht wieder besetzt!« Logan zählte die Schreibtische – es waren nur sechs.
»Dann sind Sie also mehr oder weniger allein.«
»Nur ich und die olle Margaret, und die ist sowieso meistens zu nichts zu gebrauchen.« Ein lautes Schniefen, gefolgt von hektischem Kramen in einer Schreibtischschublade, bei dem ein mannsgroßes Taschentuch zutage gefördert wurde, und dann ein ausgedehntes, feucht klingendes Trompetensolo. »Was wollen Sie wissen?«
»Es sieht aus, als hätte Jamie sich eine Überdosis gespritzt. Halten Sie es für möglich, dass er das absichtlich gemacht hat?«
Ihre Miene verfinsterte sich augenblicklich. »Er galt als selbstmordgefährdet und stand unter Beobachtung! Okay? Wir sind unterbesetzt. Ich kann nicht überall –«
»Mir geht es doch gar nicht um Schuldzuweisungen. Ich will nur wissen, ob Sie glauben, dass es ein Unfall oder Selbstmord war.«
Sie seufzte; es klang müde und deprimiert. »Er hatte es verdammt schwer hier. Wurde immer wieder verprügelt – warum, weiß ich nicht, aber viele von den Jungs hatten ihn auf dem Kieker. Er musste mit dem Vorwurf leben, seine Freundin ermordet zu haben, dabei hatte er ihren Tod noch gar nicht verarbeitet. Und als wir das letzte Mal mit ihm gesprochen haben, hatte er gerade erfahren, dass sie von ihm schwanger war. Er hat gar nicht mehr aufgehört zu heulen …« Achselzucken. »Also, wenn Sie mich fragen, ich halt’s für ziemlich wahrscheinlich. Was hatte er denn zu verlieren? Die Liebe seines Lebens tot, genau wie sein ungeborenes Kind, und anstatt einer Zukunft die Aussicht, in den nächsten dreizehn bis zwanzig Jahren Tag für Tag von seinen Mitgefangenen verprügelt zu werden.«
Logan nickte düster. »Wie sieht’s mit Zeugen aus? Ich meine, es ist heller Tag, er ist draußen im Hof, da muss ihn doch jemand dabei gesehen haben?«
Dafür erntete er ein knappes, verächtliches Lachen. »Sie
Weitere Kostenlose Bücher