Die Stunde des Mörders: Roman (German Edition)
permanent miesen Laune hatte der Rechtsmediziner ihn lieber nicht angesprochen, und er hatte sich in den Wald verzogen, um ein paar Anrufe zu tätigen. Plötzlich krachte es im Unterholz nahe dem Weg, den sie gekommen waren, und DI Steel tauchte aus dem Wald auf. Sie wirkte ein bisschen durcheinander und zog hastig ihren Spusioverall hoch.
»Ein menschliches Bedürfnis«, sagte sie. »Bitte keine Fragen.« Sie machte einen Rundgang um den umgestürzten Baum, wobei sie sich wohlweislich an die erhöhten Trittplatten hielt, die von der Spurensicherung ausgelegt worden waren. »Also«, sagte sie zu Doc Fraser, nachdem sie einmal im Kreis gegangen war, »wollen Sie den ganzen Tag hier rumstehen und Zeitung lesen, oder haben Sie vor, irgendwann auch noch was zu arbeiten?«
Der Griff des Koffers löste sich in einem Stück und wurde von einem nervös wirkenden Techniker der Spurensicherung vorsichtig eingetütet. »Wissen Sie«, sagte Steel, während Doc Fraser den Deckel des Koffers packte, »wir werden wie die letzten Idioten dastehen, wenn es diesmal ein Cockerspaniel ist.«
Fraser öffnete den Koffer.
Der Geruch war längst nicht so schlimm wie der des zerstückelten Labradors, aber trotzdem wäre ihnen allen fast das Mittagessen hochgekommen. Ein großer, grau-weißer Klumpen Fleisch lag da, umspült von einer fauligen Flüssigkeit. Definitiv kein Cockerspaniel. Auf der Brust war der Name AILSA eintätowiert.
Rennie trat das Gaspedal durch und raste über die engen Landstraßen Richtung Westhill, während Logan den Beamten vom Naturschutzdezernat anrief, der den Hundetorso-Fall bearbeitet hatte. Ob er auch mit einer Mrs. Clair Pirie gesprochen habe, als er die Liste vermisster Labradors durchgegangen war? Nein, hatte er nicht, weil Mrs. Pirie ihren Hund nicht als vermisst gemeldet hatte. DI Steel saß auf dem Beifahrersitz und grinste wie ein Honigkuchenpferd. Die Staatsanwältin war gleich Feuer und Flamme gewesen – Haft- und Durchsuchungsbefehl waren schon in Arbeit. Ihr Büro versprach, die Unterlagen per Fax ins Revier Westhill zu schicken, während das Team von DI Steel auf dem Weg dorthin war. Alpha Zwo-Neun folgte ihnen, hatte aber bei Rennies Fahrstil große Mühe dranzubleiben.
Das Büro der Staatsanwaltschaft hielt Wort, und zwölf Minuten später parkte Rennie den Wagen vor Clair Piries Haus in Westfield Gardens. Alpha Zwo-Neun sicherte die Rückseite und stellte sich in die Zufahrt zur Schule – für alle Fälle. Im Cruickshank-Haus nebenan war alles dunkel, kein Auto in der Einfahrt, keine Reaktion, als Logan das Handy zückte und anrief. Aber in Clair Piries Wohnzimmer flimmerte die Glotze und warf zuckende graublaue Schatten auf die Tapete.
»Okay«, sagte Steel zu Rennie und hielt die Hand auf. »Die Papiere.« Der Constable übergab ihr den Stapel gefaxter Dokumente, alle vorschriftsmäßig unterschrieben und gegengezeichnet. »Auf geht’s.«
Rennie hielt sich nicht lange mit der kaputten Klingel auf und klopfte gleich an die Haustür. Dann trat er einen Schritt zurück und wartete. Hinter ihm trippelte Steel aufgeregt von einem Fuß auf den anderen, wie ein kleines Mädchen, das beim Eisverkäufer in der Schlange wartet. Endlich öffnete Clair Pirie grummelnd und schimpfend die Tür, warf einen Blick auf Rennie und knallte sie wieder zu. »Verpisst euch!«, rief sie durch die Wellglasscheibe. »Ich bin nicht da!«
Steel stieß Rennie zur Seite und baute sich vor der geschlossenen Tür auf. »Seien Sie doch nicht so blöd. Machen Sie sofort die Tür auf, oder ich lasse sie eintreten.«
»Das dürfen Sie nicht!«
»Ach was?« Steel zog die Papiere aus der Tasche und drückte sie an die Scheibe. »Clair Pirie, ich habe hier einen Durchsuchungsbefehl für dieses Haus. Sie können entweder … Verdammt!« Die breite Silhouette hinter der Scheibe war plötzlich verschwunden. Steel schnappte ihr Funkgerät. »Aufgepasst, Leute – sie versucht abzuhauen!« Sie boxte Rennie in die Schulter. »Was stehen Sie denn hier rum – los, treten Sie sie schon ein!«
Rennie ließ seinen Stiefel gegen das Holz krachen, und die Tür flog auf. Die Küchentür stand offen, und durch das Fenster hatten sie einen freien Blick auf Mrs. Piries fettes Hinterteil – sie versuchte gerade über den Gartenzaun zu fliehen. Oben angelangt, hielt sie plötzlich inne und ließ sich wieder in das zerwühlte Blumenbeet fallen, wo sie mit hängenden Schultern stehen blieb. Gleich darauf kam ein uniformierter Constable
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