Die Stunde des Mörders: Roman (German Edition)
gefälligst einen Rechtsmediziner!« Er richtete sich auf und ging zur Tür, wo er noch einmal stehen blieb und einen taxierenden Blick auf den zum Zerreißen gespannten Papieroverall des Inspectors warf. »Wissen Sie was, ich werde Ihnen einen Todeszeitpunkt nennen, und zwar gratis: achtzehn Monate, wenn Sie nicht bald was gegen Ihr beschissenes Übergewicht tun.« Sprach’s und ließ Insch stammelnd und mit hochrotem Kopf stehen.
Logan stöhnte. Das hatte ihnen gerade noch gefehlt, dass Doc Wilson die Lunte anzündete und sich dann aus dem Staub machte, während alle anderen zusehen mussten, wie sie sich vor der Explosion in Deckung brachten. »Ignorieren Sie ihn einfach«, versuchte er Insch zu beschwichtigen. »Dieser Wilson führt sich schon die ganze Woche auf, als hätte ihm jemand ein Frettchen in die Unterhose gesteckt. Macht ihm offenbar Spaß.«
Insch funkelte Logan grimmig an. »Sagen Sie diesem Arsch mit Ohren, wenn er sich noch einmal an einem Tatort von mir blicken lässt, dann sorge ich persönlich dafür, dass er selber im LEICHENSCHAUHAUS LANDET !« Alle Gespräche im Raum verstummten auf der Stelle. » DANN WERDE ICH IHN FÜR TOT ERKLÄREN, DAS SCHWÖRE ICH !« Speicheltropfen flogen aus Inschs Mund. Logan hatte ihn schon oft wütend gesehen, aber so etwas hatte er noch nicht erlebt. Am ganzen Leib zitternd stapfte Insch wortlos in die Küche und knallte die Tür so heftig hinter sich zu, dass alles, was in der Wohnung nicht niet- und nagelfest war, schepperte und klirrte. Ein Stockwerk über ihnen wurde der Fernseher lauter gedreht.
»Mein Gott«, flüsterte der Kameramann der Spurensicherung. »Da hat wohl jemand einen Nerv getroffen, was?«
DI Insch schmollte noch immer in der Küche, als der Rechtsmediziner vom Dienst eintraf. Diesmal war es Doc Fraser und nicht Isobel, was Logan mit Erleichterung registrierte. Fraser bestätigte Doc Wilsons Diagnose: Karl Pearson sei in der Tat tot. Logan könne den Bestatter anrufen und die Leiche abtransportieren lassen. Die Autopsie setzte er auf fünfzehn Uhr an. Und jetzt, nachdem alle Formalitäten erledigt waren, konnte Logan sich endlich in Ruhe das Opfer ansehen, ohne dass irgendjemand einen Wutanfall bekam. Natürlich nur, solange er nichts anfasste.
Karl Pearson: vierundzwanzig, splitternackt, an einen Stuhl gefesselt und sehr, sehr tot. Seine Kehle war fast vollständig durchtrennt, der Kopf hing zur Seite; die Augen vor Entsetzen weit aufgerissen, starrte er mit leerem Blick in den Flur hinaus. Am linken Ohr fehlte ein großes Stück, vom Ohrläppchen bis zur Spitze, sodass nur ein halbmondförmiger Hautlappen übrig war. Tiefe Striemen zogen sich von den Winkeln des geöffneten Mundes über die Wangen bis zum Hinterkopf. Es sah aus, als sei er mit einer Art SM-Knebel zum Schweigen gebracht worden; auf der wachsartigen Haut waren noch die kleinen runden Abdrücke der Riemenlöcher zu erkennen. Karls Arme waren mit Kabelbinder hinter dem Rücken gefesselt und an die Stuhlbeine gebunden. Auch die Hände waren über und über mit Blut bedeckt, sodass die Einzelheiten schwer auszumachen waren, doch eines war unschwer zu erkennen: Mehrere von Karls Fingern waren ein gutes Stück kürzer, als sie hätten sein sollen. Manche endeten am zweiten Fingerglied, andere waren am Knöchel abgetrennt, wieder andere irgendwo dazwischen; Knochen und Knorpel lugten aus den Wunden hervor wie gekochte Fischaugen. Die abgetrennten Kuppen lagen mit herausgerissenen Nägeln unter dem Stuhl. Dort, wo die Brust nicht mit Blut aus der klaffenden Halswunde bedeckt war, war die Haut mit Brandmalen von Zigaretten gesprenkelt, und die rechte Brustwarze fehlte. Karls Beine waren weit gespreizt, sodass Logan einen ungehinderten Blick auf sein Gemächt genoss. Trotzdem konnte er nicht genau sagen, ob das, was er da sah, Schamhaare oder Heftklammern waren, und er wollte auch nicht näher herangehen, um es herauszufinden. Die bleichen, haarigen Beine waren ebenfalls mit kleinen Brandmalen übersät, die Knie merkwürdig verbeult und verformt. Außerdem sah es aus, als hätte jemand die Füße mit einem Hammer bearbeitet.
»Was denken Sie?«
Logan wandte den Kopf und sah die stellvertretende Staatsanwältin allein in der Tür stehen. Sie war bemüht, in ihrem vorschriftsmäßigen weißen Overall möglichst lässig zu wirken, und mied den Anblick des blutbeschmierten, nackten Leichnams. Von den Spurensicherern war weit und breit nichts zu sehen; vermutlich waren sie gerade in
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