Die Stunde des Puppenspielers: Thriller (German Edition)
wie man es nördlich von Afrika erwarten konnte. Bei sechzig Pence pro Liter Wein war es leicht, die Kühle an den wenigen Tagen zu vertreiben, wenn Wind und Regen stärker wurden. Jedes Jahr im November kamen die Vagabunden und Aussteiger Europas, einige zu drogenumnebelt oder betrunken, um an der normalen Gesellschaft teilzunehmen, aber auch andere, die es gar nicht wollten. Die meisten strebten in die Provinzhauptstadt, andere führten ein halb nomadisches Leben, trampten von einem Ort zum anderen, schliefen an Stränden. Craig Thorndyke schien einer von ihnen zu sein. Wenn das zutraf, bestand durchaus die Chance, dass er in Toby Ibañez’ Wohltätigkeitsorganisation vorbeigeschaut hatte.
Ibañez hielt sich in der Rezeption auf und sprach Französisch mit einer dicken afrikanischen Frau, die ein Baby im Arm hielt und nervös wirkte. Sie hörte Ibañez aufmerksam zu, und ihr Gesichtsausdruck entspannte sich langsam. Als Danny Ibañez so in Aktion sah, bekam er ein schlechtes Gewissen, weil er über den Mann so hart geurteilt hatte: An Ibañez’ Stimme und seiner Art merkte man deutlich, dass ihm die Notlage der Frau durchaus am Herzen lag. Das Gespräch endete damit, dass Ibañez aus seiner Hosentasche einen Geldschein zog und ihn der Frau gab.
»Danny«, sagte Ibañez, als die Frau, das Baby auf der Hüfte, hinauswatschelte. »Habe nicht erwartet, Sie so schnell wiederzusehen.«
»Toby.« Zum ersten Mal kam Danny der Name leicht über die Lippen. »Ich habe mich gefragt, ob Sie mir vielleicht helfen können. Kennen Sie diesen jungen Mann hier?«
Danny zeigte ihm das Foto von Craig Thorndyke. Ibañez betrachtete es lange und konzentriert und nickte dann.
»Ich glaube, ich kenne ihn tatsächlich. Ist er Engländer? Oberklassenakzent, den er aber verstecken will?«
»Klingt nach ihm. Wann haben Sie ihn das letzte Mal gesehen?«
»Das ist eher Monate als Wochen her.«
»Irgendeine Idee, wo er jetzt sein könnte?«
»Da muss ich raten. Ich hatte den Eindruck, dass er im Freien schläft. Er roch auf jeden Fall so. Um ganz ehrlich zu sein, ich fand ihn ein wenig unheimlich.«
»Unheimlich? Inwiefern?«
»Ach, nur so ein Gefühl. Er hatte diesen leeren, starren Blick, den Leute kriegen, wenn sie zu viele LSD -Trips eingeschmissen haben. Pusteln um den Mund. Er scheint ein junger Mann mit großen Problemen zu sein.«
»Und wirklich keine Idee, wo er sich jetzt aufhalten könnte?«
Toby bedauerte es aufrichtig, nicht weiterhelfen zu können.
»Was ist mit … wie heißt sie gleich wieder?«, sagte Danny und deutete auf das Telefonzimmer. »Könnte sie es wissen?«
»Allison. Sie ist heute nicht hier. Aber ich frage mal den Typen, der Dienst tut.«
Am Telefon saß ein ordentlich gekleideter Marokkaner. Ja, er kenne Craig Thorndyke, nein, er wisse nicht, wo er sein könnte. Seine Miene verriet einen leichten Abscheu, als er Craig Thorndykes verwüstetes Gesicht sah.
Nachdenklich ging Danny zu seinem Auto zurück. Wenn Craig Thorndyke am nächsten Morgen um 7.30 Uhr am Geldautomaten in Mojácar sein wollte, musste er irgendwo in der Nähe sein. Mit dem Schlüssel in der Tür seines Golfs hielt er inne.
Egal, er würde noch eine halbe Stunde dranhängen. Er hatte Lust auf eine oder zwei Flaschen Wein heute Abend, um den Beginn seines Urlaubs zu feiern.
Zu Fuß ging Danny zum Strand von Mojácar. Die beiden Deutschen waren leicht zu finden. Klaus und Justus bearbeiteten jedes Jahr denselben Strandabschnitt, errichteten komplexe Skulpturen aus Sand und lebten von den Münzen, die man ihnen zuwarf. Sie besaßen wirklich Talent. Letztes Jahr hatten sie eine Kopie der Alcazaba gebaut, des berühmten Schlosses der Provinz, und in diesem Jahr einen riesigen Drachen, so groß, dass sie in seinem Maul und den Augen Kerzenstummel anzünden konnten.
Im Freien zu schlafen war eine riskante Sache, aber Klaus und Justus waren bestens dafür ausgestattet. Wenn einen der Anblick von Klaus’ Amphetaminaugen und seinem zahnlückigen Grinsen nicht schon vertrieb, gab es da noch Justus: eins achtundachtzig groß, über hundertdreißig Kilo schwer, das meiste davon bedeckt mit Bikertattoos. Klaus war der Künstler, Justus machte die Drecksarbeit. Er schleppte Eimer voller Meerwasser herbei, um den Sand zu befeuchten, den Klaus modellierte. Ein paar Jahre zuvor hatte Danny einen Artikel über die beiden geschrieben. Er wusste noch, dass Klaus gebrochenes Englisch sprach, mit einem Akzent irgendwo zwischen Arnold
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