Die Stunde des Puppenspielers: Thriller (German Edition)
durchaus sein, dass er hinter dem Mord in Spanien bei Reades Haus steckte. Das ergab eine Lücke von knapp einem Jahrzehnt. Da war noch ein Problem, das die Orson-Theorie unglaubwürdig machte: Wo befanden sich die anderen Leichen? Bei Serienkillern gab es kaum absolute Gewissheiten bis auf eine: Wenn sie einmal auf den Geschmack gekommen waren, hörten sie nicht mehr auf. Der perverse Impuls, der sie zum Handeln zwang, war so tiefgehend, dass sie damit genauso wenig aufhören konnten wie mit dem Atmen.
Danny erschrak, als das Telefon klingelte. Er schaute auf das Display und war überrascht, als er schwach Schmetterlinge der Erregung in seinem Bauch spürte.
»Hallo, Marsha.«
»Wie geht’s? Ich hoffe, du hast nichts dagegen, dass ich dich anrufe.«
»Natürlich nicht.« Danny musste nicht einmal lügen. Die Nervosität in ihrer Stimme brachte ihn zum Grinsen.
»Ich bin nur gerade dabei, die beiden Grundprinzipien des Journalismus anzuwenden«, erklärte sie.
»Ich verstehe nicht, was du meinst.«
»Weißt du nicht mehr, dass du sie mir erklärt hast? ›Alles, was ein guter Journalist braucht, sind Hartnäckigkeit und Wahrheitsliebe.‹«
Danny verzog das Gesicht. Hatte er das wirklich gesagt? Gott, was für ein Wichser.
»Wie auch immer. Ich rufe nur an, um zu fragen, ob du diesen Wie-hieß-er-gleich-wieder in Newbury gefunden hast?« Ihre Stimme klang jetzt selbstbewusster.
»Ja, ich habe Harry O’Byrne gefunden. Und er erwies sich als sehr hilfreich.«
»Das freut mich wirklich.«
»Was heißt, dass ich dich zum Abendessen ausführe.«
Sie schwieg, aber Danny hatte das Gefühl, dass Marsha sich erst jetzt wirklich freute.
»Ist morgen Abend okay, Marsha?«
»Passt mir gut. Wohin gehen wir?«
»Erst Pub und dann ein Curry?«
»Klingt gut. Auch wenn’s genau das ist, was wir beim ersten Mal gemacht haben.«
Sie hatten ein Curry gegessen? Danny konnte sich absolut nicht daran erinnern. Es erklärte allerdings, wie er es geschafft hatte, so viel Geld auszugeben: Bis jetzt war er davon ausgegangen, er hätte irgendwo ein paar Scheine verloren.
»Ich rufe dich morgen gegen fünf an, um was Konkretes auszumachen, okay?«
»Cool. Dann gute Nacht, Señor Sanchez.«
»Schlaf gut.«
Danny legte auf. Bildete er sich das nur ein, oder hatte sie ihm einen Kuss durch die Leitung gehaucht, bevor sie auflegte? Diese blöden Schmetterlinge waren noch immer da. Danny schüttelte den Kopf. Das Leben war nie einfach. Eine verdammte Liebesaffäre mit einer Frau tausend Meilen von seinem Zuhause entfernt war das Letzte, was er jetzt brauchte.
Er lehnte sich im Bett zurück, stellte seinen Laptop neben sich, suchte im Internet nach Videos über Serienmörder und fand ein Interview, das angemessen aussagekräftig war. Ein amerikanischer Professor der Kriminalpsychologie wurde zum Thema Menschen, die Fremde töten, befragt.
»Womit wir es hier zu tun haben, sind Soziopathen«, sagte der kraushaarige Akademiker zur Einführung. »Im Grunde genommen ist der Soziopath eine völlig andere Art menschliches Wesen. Der Kernpunkt ist die Entwicklungshemmung gewisser Elemente in ihrem Charakter, Elemente, die es ihnen ermöglichen würden, mit anderen mitzufühlen, sich Empfindungen vorzustellen und zu verstehen, dass andere ebenfalls empfinden. Für einen Soziopathen existiert die Welt nur als eine Reihe von selbstsüchtigen Bedürfnissen und Sehnsüchten. Darüber hinaus existiert nichts. Der Gedanke, dass andere ebenso fühlen und empfinden wie er, ist für ihn etwas völlig Fremdes, etwas, das er einfach nicht begreifen kann. Da könnte man ebenso gut einem Kleinkind Nietzsche erklären. Der Soziopath entwickelt einfach die Werkzeuge nicht, die zu diesem Verständnis notwendig sind.
Er lernt jedoch sehr schnell, zu täuschen und seinen Makel zu verbergen. Er fängt an, die notwendigen Reaktionen nachzuahmen, die man von ihm erwartet. Das Problem ist, dass der Schaden normalerweise in der Kindheit angerichtet wird. Es kommt sehr selten vor, dass eins dieser Individuen nicht aus einem Missbrauchsumfeld stammt. Der Missbrauch, den sie während der Kindheit erleiden – sei es Gewalt oder Sex oder beides –, bringt sie dazu, sich eine Fantasiewelt zu erschaffen, in die sie sich flüchten können, eine private Welt, in der sie stark und mächtig sind. Die Probleme, die dies verursacht, zeigen sich erst in der Pubertät oder …«
Danny unterdrückte ein Gähnen, als die Antwort immer verwickelter wurde. Der
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