Die Stunde des Puppenspielers: Thriller (German Edition)
Kernpunkt war, dass kein Mensch genau wusste, warum sie es taten oder woran man es festmachen konnte.
Oder wie man es stoppen konnte.
Das war das Problem. Fast alle wurden bereits in der Kindheit deformiert. Es war wie ein Pestbazillus, der sich im Kern der Familie gebildet hatte und von einer Generation zur nächsten weitergegeben wurde – Sadismus, Perversion –, bis er in jemandem wie Ishmael Vertanness plötzlich ausbrach.
Er hatte sich über Vertanness’ Hintergrund informiert, über seine Kindheit voll unvorstellbarer Brutalität: von den Eltern geschlagen und missbraucht, von älteren Geschwistern gehänselt und gequält. Ein Arm war bedeckt von Zigarettenbrandnarben, die ihm seine Brüder zugefügt hatten. Zu der Zeit war Vertanness sieben gewesen, die Brüder neun und elf. Was für Hoffnung konnte es geben, wenn eine Kindheit unter einer solchen beiläufigen Brutalität erdrückt wurde?
Und doch, was empfand er für Vertanness? Mitgefühl? Verständnis?
Danny gähnte noch einmal. Die Antwort musste bis zum nächsten Morgen warten.
13
Nackt ging er zum Fenster und schaute auf sein Haus hinunter.
Silbernes Mondlicht lag auf dem grauen Stein. Er betrachtete es immer so, als sein Haus. Denn das Haus gehörte ihm, außer dem Namen nach. Er hatte es zu seinem gemacht. Er hatte zunächst woanders gewohnt, aber der Gedanke, dass Leute sein Haus anglotzten und nichts von der Schönheit sahen, die es enthielt, hatte ihm schier das Herz gebrochen.
Die Brise wehte das leise Rascheln von Fächerpalmen zu ihm. Irgendwo bellte ein Hund.
Geräusche trugen hier draußen sehr weit. Das war der Grund, warum er das alte Haus nicht mehr benutzen konnte. Nicht mehr, seit man auf der Anhöhe darüber gebaut hatte.
Vor den neuen Gebäuden war es eine perfekte Zeit gewesen. Manchmal hatte er das Ding allein arbeiten und im Garten herumwandern lassen und seiner Musik gelauscht, den zitternden Höhen und Tiefen, dem gehauchten, abgehackten Flehen.
Zu Hause in der alten Heimat waren sie ihm ziemlich nahe gekommen. Sie hatten ihm sogar einen Namen gegeben. Dorothy hatten sie ihn anfangs genannt. Das hatte ihm gefallen.
Und Orson. Das hatte ihm weniger gefallen. Er war noch nie fett gewesen.
14
Dienstag, 6. April 2010
Das Telefon weckte Danny.
»Tut mir leid«, sagte Marsha, als er abhob. »Habe ich zu früh angerufen?«
»Keine Ahnung. Wie spät ist es?«
»Dann war es zu früh.« Sie klang verunsichert. »Es tut mir wirklich leid, Danny, es sind diese verdammten Schichten, die ich arbeite. Ich wollte nur fragen, ob wir uns heute Abend vielleicht so gegen acht treffen können.«
»Okay. Ich rufe dich Punkt acht an.«
Danny war gerade wieder am Einschlafen, als Kimberley anrief.
»Entschuldigung, Danny. Ich habe ganz vergessen, dass du ja in Urlaub bist. Soll ich mich später wieder melden?«
Danny schwang die Beine aus dem Bett. »Nein. Was gibt’s?«
»Ich habe deine Presseausschnitte hier. Nathan ist sehr schnell, nicht?«
»Ich bin in fünfzehn Minuten bei dir.«
»Nicht so schnell, Superman.« Sie klang noch immer neckisch.
Gerade so.
Danny hatte etwas dergleichen erwartet. »Ich dachte, du wolltest mir einen Gefallen tun.«
»Ja, und dazu stehe ich auch. Aber eine Hand wäscht die andere, und es war nachrichtentechnisch eine karge Woche. Ich habe selber ein bisschen recherchiert. Faszinierender Artikel, den du über diese beiden Leichen geschrieben hast, die man in Spanien gefunden hat. Ich nehme zumindest an, dass er von dir stammt. Drunter steht: ›Von einem Reporter der Redaktion‹.«
Danny umklammerte sein Handy ein wenig fester, weil er sich vorstellte, es sei der Hals einer gewissen Person.
»Ja, den Artikel habe ich geschrieben.«
»Du kannst mir ja davon erzählen, wenn du ins Büro kommst.«
Danny ging zu Fuß zu The Bugle. An diesem Vormittag war im Redaktionssaal mehr los. Er kannte niemanden mehr. Die Leute starrten ihm neugierig nach, als Kim ihn in ihr Büro führte und die Tür schloss. Kimberleys Fragen beantwortete er wahrheitsgemäß: Er würde sich hüten, sie anzulügen. Ja, er verfolge eine mögliche Verbindung zwischen den Morden. Nein, er habe noch nichts Konkretes, es sei nur ein Verdacht.
Über die Orson-Theorie oder seinen Besuch bei O’Byrne bewahrte er Stillschweigen. Das war allein seine Sache. Und Ray Taylors. Sie betrachtete ihn mit einem ironischen Lächeln und hielt ihm einen Umschlag hin. »Ich kann sehen, dass du etwas vor mir verbirgst. Ich glaube, es
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