Die Stunde des Puppenspielers: Thriller (German Edition)
sich, und sie lächelten sich kurz an. Kimberley hatte ihre Karten meisterhaft ausgespielt: Danny hatte keine andere Wahl, als preiszugeben, was der Grund seines Interesses war. Auch Zerknirschung hatte ihre Grenzen: einmal Reporterin, immer Reporterin.
»Ich suche nach Details über Morde in Großbritannien von …«
»Also ein hübsches, eingeschränktes Thema.«
»… von 1995 rückwärts.«
»Und nicht digitalisiert. Noch besser.« Der Tonfall des Mannes war so sauer, dass Danny beinahe erwartete, der Hörer würde sich verziehen.
Kimberley mischte sich ein. »Also komm, Nathan, sag mir nicht, ihr hättet nicht irgendein Magazin, das sich mit wahren Verbrechen beschäftigt und dem ihr jeden Monat ein Paket mit den pikantesten neuen Morden schickt.«
Man hörte, wie Rauch ausgeatmet wurde. »Kann sein.«
»Dann ist die halbe Arbeit doch schon getan, oder?«
»Wonach suchen Sie genau?«
»Alles vor 1995 mit ungewöhnlichen Umständen und Manipulationen an der Leiche.«
»Wie ungewöhnlich?«
»Genitalverstümmelung. Oder dass postmortal irgendetwas mit der Leiche angestellt wurde. Vor allem, dass das Gesicht geschminkt wurde.«
Prusten war zu vernehmen. »Sie haben recht, das grenzt das Thema wirklich ein. Mal sehen, was ich tun kann.«
»So, so«, meinte Kimberley, als sie den Hörer aufgelegt hatte. »Dann bist du also wegen des Vogelscheuchen-Prozesses hier? Hat das was mit Ray zu tun? Ich weiß noch gut, wie er da weiterstocherte, lange nachdem Vertanness weggesperrt war.«
Danny ignorierte die Neugier, die in Kimberleys Blick lag, als er ihr die Hand schüttelte. » War schön, dich mal wieder gesehen zu haben, Kim. Wir reden morgen noch mal. Behalt die Zigaretten, ich habe genügend.«
»Wenn du an etwas arbeitest, das auch die guten Bürger von Fleet interessiert, wirst du dich hoffentlich an deine früheren Loyalitäten erinnern?«, rief sie ihm nach.
Danny kehrte in den Pub zurück. Sein Telefon klingelte: O’Byrne.
»Ich habe mit Edward Shelley gesprochen.«
»Was hat er gesagt?« Danny merkte an O’Byrnes Stimme, dass es schlechte Nachrichten waren.
»Kommt absolut nicht infrage. Er sagte, und ich zitiere: ›Deepmere ist eine Zuflucht für Patienten und kein viktorianisches Irrenhaus, in das jeder x-beliebige Fremde latschen darf, um zu gaffen.‹«
»Vielen Dank, dass Sie es versucht …«
»Ich habe mich zu weit aus dem Fenster gelehnt und eins übergezogen bekommen. Unsere gemeinsamen Transaktionen sind damit beendet. Leben Sie wohl.«
Die Leitung war tot.
12
An diesem Abend war Danny mit Ray Taylors Notizbuch beschäftigt.
Konnte es sein, dass da noch jemand beteiligt war? Ray Taylor hatte es geglaubt. Nach der ersten Erwähnung von Orson im Notizbuch hatte Taylor sich auf die Suche begeben, hatte sich andere Verbrechen, andere Serienmörder angeschaut. Jetzt würde es keinen Urlaub mehr geben, keine Ruhe und Erholung, keine Saufereien. Hier lockte Erlösung. Er war es Ray schuldig, diese Geschichte aufzuklären. Und er wusste, wie die Verfasserzeile des Artikels lauten würde: Von Ray Taylor und Danny Sanchez. Seit acht Jahren tot, aber jetzt schwarz auf weiß wieder zurück.
Ray hätte das gefallen.
Danny überlegte, mit welchen Problemen er es zu tun bekommen würde, falls Orson existierte. Das erste war offensichtlich: Warum jemanden mit dazunehmen? Serienmörder wurden normalerweise getrieben von irgendeinem tiefen Wunsch, ihre verqueren Fantasien in der realen Welt auszuleben, andere menschliche Körper zu benutzen, um ihre Szenarien zu erschaffen. Das war etwas sehr Persönliches. Es gab zwar Abweichungen – die Moor-Morde, Fred und Rose West –, doch normalerweise agierten Serienmörder allein.
Das zweite Problem bestand in der Durchführbarkeit. Wo fand Orson diese Personen? Angenommen, Ishmael Vertanness war nichts als ein Werkzeug gewesen, wie hatte Orson ihn gefunden?
Das war der Punkt, an dem die Orson-Theorie zusammenbrach. Denn angenommen, Orson existierte wirklich, dann steckte er wahrscheinlich hinter den Grenzland-Morden. Wie hatte er es geschafft, zweimal so viel Glück zu haben? Nicht nur jemanden zu finden, der bereit und fähig zum Töten war, sondern auch jemanden, von dem er sicher sein konnte, dass er nicht zusammenbrechen und ins nächste Polizeirevier rennen würde?
Er prüfte die Datumsangaben. Der dritte und letzte Grenzland-Mord passierte im Januar 1999. Der Mörder wurde nie gefasst. Angenommen, Orson war Realität, dann konnte es
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