Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)
mit denen Sie Probleme und persönliche Dinge besprechen können?‹« Diese Frage hatte ihm gestern Stefan Treysa in ihrer Sitzung vorgelesen, die via Skype vorm Computer stattfand. Und er hatte ihm einen Fragebogen in die Webcam gehalten. »So was müssen Patienten normalerweise beantworten«, hatte er gesagt, »damit die Kasse ihnen die Therapie zahlt. Sehr viele Fragen, die hier findet man unter dem Kapitel ›Soziale Beziehungen‹.«
»Und?«, hatte Tretjak gesagt. »Soll ich jetzt Fragebögen ausfüllen?« Er bezahlte Stefan Treysa nicht für die Therapie, das hatte der abgelehnt. Strenggenommen war er kein Therapeut mehr, sondern Herausgeber und Chefredakteur einer Psychologiezeitschrift. Die Praxis hatte er aufgegeben, als er festgestellt hatte, dass er die falsche, weil negative Ausstrahlung auf Patienten hatte. »Ich bringe denen schon was mit meiner Therapie, aber sie haben nicht das Gefühl, dass ich ihnen etwas bringe«, hatte er erklärt. »Bei anderen Psychologen ist es genau andersherum.« Tretjak hatte damals ein wenig mitgeholfen, dass eine Hamburger Verlegerfamilie das Blatt von Stefan Treysa finanzierte und an den Kiosk brachte. Heute war das »Psychologie Journal« angesehen und sogar in den schwarzen Zahlen.
»Du solltest dich mit dieser Frage mal beschäftigen«, hatte Treysa beharrt. »Hast du solche Freunde?«
»Dich zum Beispiel«, hatte Tretjak geantwortet.
»Lenk nicht ab. Ich bin dein Therapeut. Bevor wir damit angefangen haben, hast du gar nichts mit mir besprochen.« Treysa hatte sich vorgebeugt, er war fast aus dem Computerbildschirm herausgekommen. Und er hatte sehr ernst ausgesehen. »Gabriel, dahinter steckt die Frage nach Vertrauen. Wem vertraust du? Das musst du mal beantworten. Lass Zeit ganz weg, die Entwicklung, denk zurück und betrachte nur den Moment. Vielleicht hast du als Kind deinem Bruder vertraut, zum Beispiel. Dann schreib seinen Namen auf, schreib Namen auf.« Der Zettel mit den Namen lag auf dem winzigen Schemel neben der Couch. Und Tretjak fragte sich immer noch, ob er ihn einfach zerknüllen und wegwerfen sollte.
Er sah auf die Uhr. Fünf Uhr nachmittags. Spät genug, was die Zeitverschiebung anging. Er wählte auf dem Handy eine Nummer, die er seit drei Tagen schon ein paarmal probiert hatte. Es war ein Anschluss in Buenos Aires. »Temporarily not available« lautete die Ansage, schon wieder. Doch diesmal wählte Tretjak noch eine andere Nummer in Buenos Aires.
»Ich kann unseren Mann nicht erreichen«, sagte er ohne Einleitung auf Spanisch. »Was ist da los?«
Der Teilnehmer am Ende der Leitung brauchte ein paar Sekunden, um zu begreifen, wer am Apparat war. »Er ist seit ein paar Tagen verschwunden«, sagte er schließlich.
»Verschwunden? Was heißt das?«
»In seinem Fall nichts Dramatisches. Der macht das öfters. Taucht ab. Nachtleben, Alkohol, Nutten …«
»Hören Sie«, unterbrach ihn Tretjak, »ich bezahle Sie nicht für Auskünfte dieser Qualität. Ich will wissen, wo er ist. Finden Sie ihn. Schnell. Und sagen Sie ihm, ich muss ihn sprechen. Haben Sie das verstanden?«
»Sí, Señor Tretjak.«
Er legte auf und holte die kleine Packung aus dem Küchenschränkchen, wo er sie hinter den Kaffeedosen deponiert hatte. Tavor: Tabletten gegen Angst. Sie beruhigten und gaben einem das Gefühl, dass alles in Ordnung war. Er riss die Packung auf und nahm zwei Tabletten. Spülte sie mit dem klaren Wasser hinunter, das aus den Bergen in seinem Hahn ankam. Sein Blick fiel auf die große schwarze Taschenlampe, die ihn heute Nacht um den Schlaf gebracht hatte. Er hatte sie in einem Waffengeschäft in Luino erworben. »Sieben Terminatorlinsen lassen einen Autoscheinwerfer blass aussehen«, hatte es geheißen. Tretjak hatte bei offenem Fenster im dunklen Schlafzimmer auf der Lauer gelegen. Aber die Terminatorlinsen hatten nur ein paar Siebenschläfer und einen Fuchs erschreckt. Heute Nacht würde er sich das ersparen. Tavor wirkte auch gegen Schlaflosigkeit.
Tretjak packte seine Reisetasche. Morgen würde er mit dem Auto nach Genf fahren, zu Frau Welterlin. Den Zettel auf dem kleinen Schemel packte er auch ein. Wer weiß, vielleicht würde er unterwegs einen kleinen Abstecher nach Luzern machen, zu einem feinen Laden, der sich auf besondere Teesorten aus aller Welt spezialisiert hatte. Google hatte ihm versichert, dass dort noch immer die Person zu finden war, die auf seiner Vertrauensliste die erste Stelle einnahm. Es war eine Frau, und wenn er sich an
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