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Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition)

Titel: Die Stunde des Reglers: Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max Landorff
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Schenkel seinen Händen schon, ehe sie selbst überhaupt daran denken konnte, sie zu spreizen.
    Es durfte nicht wieder anfangen. Sie hatte zwar noch die gleiche Kleidergröße wie vor neun Jahren, aber sie war eine andere Frau. Damals war sie mit vielen Männern ins Bett gegangen. Je nachdem, in welcher Stimmung sie war, betrachtete sie diese Zeit als eine Phase der Suche oder als die einer Persönlichkeitsstörung. Sie hatte sich nicht genommen, was sie wollte. Sie war genommen worden, entschiedenes Auftreten und gute Hände, das reichte. Als sie Gabriel begegnet war, war ihr ganzes Leben im Umbruch: Sie hatte eine Beziehung beendet und bald darauf ihren Beruf gewechselt, sogar die Stadt. Der Laden in Luzern war ihr Traum gewesen, und er war es bis heute. Als Journalistin zu arbeiten, das konnte sie sich gar nicht mehr vorstellen.

    »Carola.« Er hatte ihren Namen gesagt. Im Schlaf? Oder war er wach? Sie streichelte sein Gesicht. Er nahm ihre Hand und drehte sich zur anderen Seite. Damals hatte sie wirklich gedacht: Das ist die ganz große Liebe. Und sie hatte es wirklich gefühlt: dass er sie auch liebte. Als er verschwand, brauchte sie ziemlich lange, um die Tatsache überhaupt zu begreifen. Und dann noch viel, viel länger, bis sie wieder halbwegs lebensfähig war. Bis dahin hatte sie immer gedacht, Liebeskummer, dieser schreckliche Liebeskummer, von dem Frauen immer redeten, den gab es doch gar nicht, das war doch eine Schimäre. Nur die Sehnsucht nach einem Gefühl, aber kein echtes Gefühl …
    Das Fenster war offen, und sie hörte eine Polizeisirene. Luzern war keine Hochburg des Verbrechens, vermutlich ein Verkehrsunfall. Er hatte sie getroffen, damals, in einem Café. Sehr sachlich war er gewesen, kalt. Später, rückblickend, als der Liebeskummer sie fast auffraß, fand sie: eiskalt. Und er hatte ihr einen Brief geschrieben, der am Tag nach dem Treffen in ihrem Briefkasten lag. Der war nicht kalt gewesen. Er hatte mit dem Satz geendet: »In einem anderen Leben, einem neuen, anderen Leben, werden wir uns wiederbegegnen, und ich werde es dir erklären, und es wird alles anders sein …« Sie hatte diesen Brief erst vor einem Jahr weggeworfen.
    In dem Hotelzimmer gab es eine orangefarbene Anrichte, ein großes, dominierendes Möbelstück, das sogar im Dunkeln irgendwie leuchtete. Es enthielt ein paar Schubladen und die Minibar, der Fernseher stand darauf. Drüber an der Wand hing ein farblich abgestimmtes Aquarell, ein Landschaftsmotiv im orangefarbenen Licht des Sonnenuntergangs. Die grässliche Idee eines Innenarchitekten.

    War das hier das neue, andere Leben? Ein Hotelzimmer mit orangefarbenen Akzenten, in dem man sich schnell die Kleider vom Leib gerissen hatte? Ein Fick zweier Menschen, die wussten, wie das ging? Ein guter Fick, weil sie eben beide gut waren – mit ihren Mündern, ihren Geschlechtsteilen, ihren Händen?
    Sie spürte ihren Puls. Er war viel zu schnell, ihr Orgasmus war zwei Stunden her. Es durfte nicht wieder anfangen. Sie durfte es nicht wieder anfangen.

Samstag, 14. Oktober
    (t 0 minus 48)
    Wie viel wog das Leben? Hatte das Leben ein großes Gewicht? Oder ein kleines? Diese Frage hatte den Mann mit dem Rucksack schon als Teenager interessiert. Und nur weil es noch niemandem gelungen war, etwas zu messen, bedeutete das noch lange nicht, dass da nichts war. Den Körper eines Lebewesens vor und nach dem Tod wiegen wie einen Sack Getreide – wie konnten Menschen so dumm sein zu glauben, dass sich Gottes Genialität auf der Skala einer Waage zeigte? Aber die Menschen waren auch so dumm zu versuchen, den Schöpfungsakt nachzubauen, den Urknall, wie sie ihn nannten. Nachbauen mit ein paar Kupferdrähten in einem lächerlichen Tunnel. Wie viel wog Verstand? Hatte Verstand ein Gewicht?

    Der Rucksack mit dem besonderen Geschenk für die Frau Professor war jedenfalls erstaunlich leicht, kaum zu spüren auf den Schultern. Er sah auf die Uhr: kurz nach vier. Die Zeit in der Nacht, in der fast alle Menschen schliefen, statistisch gesehen, das hatte er gelesen. Der Himmel über der Stadt war noch schwarz, die Straßen waren leer, völlig verlassen, die Straßenlaternen leuchteten nur für ihn. Genf, gutes altes Genf, dachte er. Hast viel zu bieten, nur kein ordentliches Nachtleben. Schon gar nicht in diesem Viertel. Es war still, er hörte nur die eigenen Schritte und das leise Schwappen des Wassers in der Flasche, die sich in der Seitentasche seines Rucksacks befand.
    Als er in die Rue

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