Die Stunde des Schakals (German Edition)
bekommen.»
«Möglicherweise.»
«Nein, nicht möglicherweise. Sicher!»
«Gut, dann sicher», sagte Clemencia. «Wollen Sie noch ein paar Sachen zusammenpacken, bevor wir aufbrechen?»
Fourie meinte, das lohne nicht, er wäre sowieso gleich wieder draußen. Er wollte nur kurz telefonieren. Clemencia bedeutete Tjikundu, ihm ins Haus zu folgen. Der barfüßige Junge blieb bei ihr auf der Veranda. Clemencia lächelte ihm zu, doch der Junge schüttelte den Kopf und sagte: «Meneer Fourie ist der Baas!»
Es klang nicht einmal vorwurfsvoll, nur völlig erstaunt, dass Clemencia das offensichtlich nicht wusste, denn sonst hätte sie ja nie auf die Idee kommen können, ihn festzunehmen. Den Baas, der alle auf der Farm ernährte, der bestimmte, wo es langging, dessen Wort hier unumschränkt galt, von dem alles und alle abhingen!
Clemencia ging in die Hocke, griff den Jungen an beiden Oberarmen und erklärte ihm, dass vor dem Gesetz alle gleich seien, er, seine Mutter, Meneer Fourie. Allesamt seien sie Menschen und Staatsbürger, hätten die gleichen Rechte und Pflichten. Und dass das so sei, sei ungemein wichtig. Dafür hätten viele Menschen jahrzehntelang gekämpft, und nicht wenige seien sogar dafür gestorben. Das dürfe er nie vergessen!
Der Junge kniff die Lippen zusammen. Clemencia konnte nur hoffen, dass er begriffen hatte. Als sie sich wieder aufrichtete, stand Fourie neben ihr. Clemencia wies auf den Wagen unter der Zypresse. Tjikundu ging vor und öffnete die Beifahrertür. Bevor Fourie ihm folgte, strich er dem Jungen übers Haar und sagte: «Mach deine Matheaufgaben! Ich bin bald zurück.»
Als sie vor dem Hauptquartier in Windhoek ankamen, wartete dort schon Anwalt von Fleckenstein. Er lehnte an seinem alten Mercedes und teilte Fourie mit, dass der zuständige Haftrichter sich in Anbetracht der besonderen Umstände bereit erklärt hatte, noch an diesem Abend vorbeizukommen. Er, Fleckenstein, bleibe hier, bis die Polizeibeamten ihr Verhaftungsprotokoll abgefasst hätten, dann rufe er den Richter an, und eine Viertelstunde später sei die Sache geregelt. Zu Clemencia sagte er: «Rin in die Kartoffeln, raus aus den Kartoffeln! Sie sind mir ja eine.»
«Ich weiß nicht, ob wir das mit dem Verhaftungsprotokoll heute noch schaffen», sagte Clemencia. «Meines Wissens haben wir vierundzwanzig Stunden Zeit dafür.»
Von Fleckenstein kicherte. Ihn schien das Ganze prächtig zu amüsieren. Tjikundu führte Fourie in den zweiten Stock hinauf, wo die Serious Crime Unit residierte. Er würde ihn ins Vernehmungszimmer bringen und dort erst einmal warten lassen. Clemencia war klar, dass sie gegen den Ex-Richter nicht viel Greifbares in der Hand hatte. Spätestens morgen würde sie ihn laufenlassen müssen, doch wenigstens eine Nacht sollte er schmoren wie jeder andere Festgenommene auch.
Unprofessionell, hätte Matti Jurmela im fernen Helsinki geurteilt und nach einer kleinen Pause angefügt, dass es nicht ums Prinzip gehe, sondern darum, die Aufgabe bestmöglich zu erfüllen. Das stimmte sicher auch. Nur war Namibia eben nicht Finnland, sondern ein junger Staat, in dem kleine barfüßige Jungen immer noch glaubten, ihr Baas könne nie verhaftet werden, eben weil er der Baas war.
Clemencia grüßte ein paar Kollegen von der Commercial Crime Unit, die gerade Feierabend machten. Sie überquerten die Bahnhofstraße und sammelten sich an der mobilen Garküche auf dem Parkplatz gegenüber. Die Getränkedosen lagen in einer Plastikwanne voll Wasser, das wahrscheinlich mal Eis gewesen war. Auf dem Grill brutzelten kleine Fleischstücke. Die Chilimischung, in die man sie stippte, leuchtete knallrot herüber. Vielleicht lag das auch an der Abendsonne. Der Himmel war wolkenlos.
Ex-Richter Hendrik Fourie:
Ich rechnete nicht damit, dass mich die Polizei festnehmen würde, doch selbst wenn ich in die Zukunft hätte blicken können, hätte ich mich keinen Deut anders verhalten. Die Frage ist nicht, ob man bereit ist, ein Risiko einzugehen, sondern ob das eigene Anliegen es wert ist, auch dessen schlimmstmöglichen Ausgang in Kauf zu nehmen. Wenn man das bejaht – und das habe ich für mich getan – , hat man gar keine andere Wahl, als sich einzumischen.
Dass Taten Konsequenzen haben, die unter der Maßgabe eines gewissen Ermessensspielraums festgelegt und somit voraussehbar sind, ist ja auch ein Prinzip der Strafgerichtsbarkeit. Wer jemanden ermordet, weiß, was ihm blüht. Da darf es keine Ausnahmen geben. Nicht nur
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