Die Stunde des Schakals (German Edition)
wegen der Opfer und ihrer Hinterbliebenen, nicht nur wegen eines wie immer gearteten Ideals der Gerechtigkeit, sondern weil das eine ganz simple, aber für menschliches Zusammenleben elementare Regel außer Kraft setzen würde: Wer A sagt, muss auch B sagen. Und wenn er es nicht selbst sagt, muss es ihm unmissverständlich gesagt werden. Sonst brechen alle Dämme.
Sicher, weder Polizei noch Staatsanwalt sind Götter, sie tappen oft genug im Dunkeln, und manchmal gelingt es ihnen trotz allen Bemühens nicht, einen Täter ausfindig zu machen. Das ist schlimm genug, aber es stellt nicht die Grundlagen des Rechts in Frage. Genau das geschieht jedoch, wenn – wie im Mordfall Lubowski – die Täter namentlich bekannt sind, ihre Motive und Handlungen trotz aller Sabotageakte nachvollziehbar sind und dennoch keinerlei Konsequenzen gezogen werden.
Ja, ich spreche von Sabotageakten. Wissen Sie, dass eine Art Einsatztagebuch gefunden wurde, in dem die Aktivitäten der CCB-Regionalgruppe 6 penibel verzeichnet waren? Als ich 1994 das Beweisstück in die Hand bekam, fehlten genau zwei Seiten. Womit sich die erste befasste, ist unklar, die zweite war jedenfalls die vom 12. September 1989, also von dem Tag, an dem Anton Lubowski erschossen wurde. Man versuchte mir einzureden, das CCB selbst hätte belastendes Material beseitigt. Aber warum nur zwei ausgewählte Seiten? Warum nicht den ganzen Rest, der ja genug andere verabscheuungswürdige Verbrechen der Gruppe belegte? Nein, da hatte jemand gezielt die Aufklärung des Lubowski-Falls zu behindern versucht, und dieser Jemand gehörte garantiert nicht zum südafrikanischen Geheimdienst.
Ich habe das und anderes damals keineswegs unter den Teppich gekehrt, aber vielleicht auch nicht ausreichend deutlich gemacht. Sicher ist, dass ich nicht entschieden genug dagegen vorgegangen bin. Sei es, weil mir die grundsätzliche Bedeutung der Sache nicht klar war, sei es, weil ich die möglichen Konsequenzen für mich persönlich gescheut habe. Aber das ist anderthalb Jahrzehnte her. Ich bin nun ein alter Mann, und mit jedem Lebensjahr mehr zählt das, was man zu verlieren hat, weniger.
Was das alles mit meinem Besuch im Gefängnis von Pretoria zu tun hat? Nun, ich hatte den Entschluss gefasst, mich einzumischen. Ich wollte nachholen, was ich in meiner aktiven Zeit versäumt hatte. Mir ging es um die Wahrheit, um die reine Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Also zeigte ich Ferdi Barnard die Zeitungsausschnitte über die Ermordung seiner beiden ehemaligen Kumpane. Ich sagte ihm, dass er der Nächste auf der Todesliste sei. Seine einzige Chance, mit dem Leben davonzukommen, bestehe darin, jetzt sofort ein umfassendes Geständnis abzulegen. Eines, in dem jede Minute und jedes Detail des 12. September 1989 wahrheitsgemäß geschildert, jeder Tatbeteiligte, jeder Mitwisser benannt und sämtliche Hintergründe geklärt würden.
«Wenn ich Ihnen nichts erzähle, werde ich umgelegt?» , fragte Barnard.
«Ja» , sagte ich.
«Heißt das, dass Sie für Marees und van Zyls Tod verantwortlich sind, Euer Ehren?» , fragte er.
«Natürlich» , sagte ich, aber er nahm mir das nicht ab. Ich hatte nicht glaubwürdig genug gewirkt.
«Lubowski? Wer war das gleich gewesen?» , fragte Barnard und lachte.
Clemencia hätte sich gern einfach vor den Fernseher gesetzt. Sie hätte die langatmigen Nachrichten der NBC in Kauf genommen und geduldig zugesehen, wie ein verschwommen aufgezeichneter Funktionär in genauso verschwommenen Worten darlegte, dass man die Ziele der Vision 2030 irgendwie erreichen müsse. Sie hätte sogar die unpassenden Kommentare von Miki Matilda ertragen, zumindest, solange sie nicht direkt angesprochen worden wäre. Es wäre ihr egal gewesen, wann Constancia ihre Kinder ins Bett schickte und dass die Bässe aus der Mshasho Bar herüberwummerten und ob Melvin sich dort gerade betrank. Clemencia sehnte sich nur nach ein bisschen Normalität. Doch der Abend entwickelte sich zu einer einzigen Katastrophe.
Noch bevor Clemencia in Katutura anlangte, rief Claus Tiedtke auf ihrem Handy an und fragte, ob sie eine gewisse Selma kenne. Die habe sich nämlich bei ihm in der Redaktion – angeblich in Clemencias Auftrag – erkundigt, ob er katholisch sei. Das sei er übrigens nicht, sondern evangelisch-lutherisch. Er habe aber mit anderen Konfessionen überhaupt kein Problem, nur die Anfrage sei ihm etwas seltsam vorgekommen.
Sie war nicht seltsam, sondern eine Frechheit.
Miki Selma zur
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