Die Stunde des Spielers
nichts der Fantasie überließ. Seine muskulöse Brust schien mit Glimmer besprenkelt zu sein. Er stand mit in die Hüften gestemmten Händen da und präsentierte seine Tiere und seine Show: Balthasar, König der Bestien.
Der Maßstab in dem Bild schien nicht zu stimmen. Die Tiere wirkten ... verkehrt. Sie hatten die falsche Größe im Vergleich zu dem Dompteur, der vorne in der Mitte stand. Außerdem waren ihre Blicke falsch. Als wüssten sie zu viel. Irgendetwas. Vielleicht lag es nur an der Kameraeinstellung, eine Art Perspektivenverschiebung auf der Bühne, oder es war eine Photoshop-Pfuscherei.
Ben musterte das Poster über meine Schulter hinweg. »Ich kaufe es ihnen einfach nicht ab«, sagte er, allerdings ohne rechte Überzeugung. »Das da sind keine echten ...«
Ich spitzte die Lippen. »Aber das würde den Geruch erklären, dieses sonderbare Gefühl, das uns bei unserer Ankunft hier beschlichen hat.«
»Als würden wir ein fremdes Revier betreten?«
»Ja, genau das«, sagte ich.
Der Lykanthropengeruch: die charakteristische Mischung aus Mensch und Tier, Haut und Fell. Ganz egal, wie fleißig gesäubert wurde, ein Hotel, in dem eine Tiershow stattfand, würde ein wenig nach Tieren riechen. Niemand sonst wäre in der Lage, es zu spüren.
Tja, wie wäre das? Eine Tiershow in Vegas voller Lykanthropen. Das war einen Platz in meiner Sendung wert; so viel Zeit würde ich dafür freischaffen können. Jedenfalls vorausgesetzt, Balthasar, König der Bestien, würde sich mit mir unterhalten.
»Das hier ist selbst mir fast zu abgefahren«, sagte ich. »Uns bleibt nichts anderes übrig, als mit Balthasar zu sprechen und ihn zu fragen, auf wessen Mist es gewachsen ist, ein paar Wertiger in einer Tiershow auftreten zu lassen.«
»Hältst du das wirklich für eine gute Idee? Die Sache mac ht mich nervös.« Er trat von dem Bild zurück, lehnte sich zur einen Seite, dann zur anderen. »Ich glaube, seine Augen folgen mir. Findest du den Kerl nicht unheimlich?«
Ich legte nachdenklich den Kopf schräg. »Eigentlich ist er ziemlich sexy.«
Ben schnaubte und ging ohne mich weiter.
Nach ein paar Schritten kamen wir zur Theaterkasse. Der Geruch nach Lykanthropen wurde intensiver.
Die Kasse war offen und von einer kecken jungen Frau besetzt. »Kann ich Ihnen helfen? Es gibt noch ein paar Sitzplätze für die Show heute Abend.«
»Eigentlich habe ich ein paar Fragen«, sagte ich. Ich lehnte mich vor ihr auf die Theke, während Ben ein paar Schritte weiter auf und ab ging und so tat, als faszinierten ihn die Türen - die wohl in das Theater selbst führten. Ich nahm eine Broschüre von einem Stapel. Auf der Vorderseite war die gleiche Abbildung wie auf dem Plakat am Ende des Korridors zu sehen. Im Innern gab es weitere Bilder: Leoparden, die durch Feuerreifen sprangen, Balthasar, der die Hand ins Maul des Löwen steckte, Tiere, die auf den Rücken anderer Tiere standen und unmögliche Pyramiden bildeten. Das Übliche.
Doch der Löwe war zu klein. Und die Leoparden waren zu groß.
Lykanthropen verwandelten sich in Tiere - nicht in Monster, nicht in monströse Versionen von Tieren. Werwölfe in Wolfgestalt sahen wie Wölfe aus, abgesehen von einer Sache: der Größe. Das Gesetz von der Erhaltung der Masse wurde nicht außer Kraft gesetzt. Werwölfe verwandelten sich in sehr große Wölfe, da ein neunzig Kilo schwerer Mann zu einem neunzig Kilo schweren Wolf wurde.
Echte Löwen waren groß, schwer, wogen ungefähr hundertachtzig Kilo. Eigentlich hätte Balthasars Hand in dem Maul verschwinden müssen. Das tat sie nicht. Der Löwe musste sein Maul ganz weit aufreißen, damit sie überhaupt hineinpasste. Balthasar hätte sich den Körper des Löwen über die Schultern werfen können. Und die Leoparden waren ungefähr so groß wie die Löwen. Doch wenn ich nicht genau hingesehen hätte, wäre es mir vielleicht gar nicht aufgefallen. Es ließ sich immer noch als miese Photoshop-Pfuscherei abtun.
Die Frau an der Kasse wartete auf meine Fragen.
»Wie ist die Show so? Sieht nach den üblichen Zirkustricks aus.«
»Oh nein, es ist viel mehr als das.« Ihre Augen wurden groß und schwärmerisch. »Glauben Sie mir, so etwas haben Sie noch nie zuvor gesehen. Die Kunststücke, die diese Tiere vollführen - sie sind kompliziert. Echt schwierige Sachen. Es ist, als würden sie ihm zuhören. Ich meine nicht Handzeichen oder das übliche Training. Es ist, als würden sie wirklich miteinander sprechen.«
»Kann man sie sich
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