Die Stunde des Tors
Bild, das er von sich hatte. »Ich glaube nicht, daß Rache ein so unnatürlicher Impuls ist.«
»Selbstverständlich ist sie das nicht«, pflichtete ihm Caz bereitwillig bei. »Absolut natürlich.«
»Was ist absolut natürlich?« Flor schloß sich ihnen humpelnd an; ihr rechtes Bein war immer noch gefühllos. Jon-Tom fand sie trotz der Tortur, die sie gerade hinter sich hatten, genauso wundervoll wie je.
»Nun, das Verlangen unseres hochgewachsenen Kameraden, jeden unserer unliebenswürdigen Häscher, dessen er habhaft werden kann, zu grillen.«
»dafür bin ich auch.« Sie machte sich zur Kutsche auf.
»Holen wir unsere Waffen und machen wir uns an die Verfolgung.«
Diesmal war es Jon-Tom, der die zurückhaltende Hand ausstreckte. Jetzt war er ehrlich verärgert darüber, wie er sich verhalten hatte, besonders vor dem würdevollen und weltklugen Caz.
»Es geht nicht um Vergeben oder Vergessen, aber es ist nicht durchführbar«, sagte er zu ihr und erschauerte wie jedesmal, wenn er sie berührte. »Sie könnten sich vor uns im Grasland verstecken, selbst wenn sie in der Nähe blieben.«
»Wir könnten verdammt noch mal versuchen nachzusehen!«
protestierte sie. »Was für eine Art von Mann bist du?«
»Hast du den Wunsch, auch da nachzusehen?« schoß er herausfordernd zurück.
Sie starrte ihn noch einen Moment an und brach dann in ein unkontrolliertes Kichern aus. Er lachte mit ihr, sowohl aus nervöser Erleichterung, als auch wegen des platten Witzes.
»Okay, okay, wir haben also Wichtigeres zu tun, si?« fragte sie schließlich.
»Genau, junge Dame.« Clodsahamp deutete auf die Kutsche.
»Bringen wir unser Äußeres in Ordnung, um uns dann wieder auf den Weg zu machen.«
Aber Jon-Tom blieb zurück, als die anderen wieder in die Kutsche stiegen und sich daran machten, das Chaos, das die Mimpa zurück gelassen hatten, zu beseitigen. Er ging zu der Kreisfläche, die beinahe ihr Grab geworden wäre, wo sich eine große purpurschwarze Gestalt über einen Haufen verbrannter Vegetation beugte. Falameezar hatte sich auf seine Hinterläufe gehockt und stocherte mit einer Klaue in dem kleinen Hügel aus Asche und verkohltem Holz.
»Wir sind dir alle höllisch dankbar, Falameezar. Und niemand mehr als ich selbst.«
Der Drache sah ihn benommen an, nahm kaum Notiz von seiner Anwesenheit. Als er schließlich antwortete, sprach er gewichtig und unerwartet ernst: »Ich habe einen schweren Fehler gemacht, Genosse. Einen schweren, ernsten Fehler.« Der Drache seufzte. Seine Aufmerksamkeit galt den verschrumpelten, rauchenden Oberresten des Marschier-Porpruts, in denen er herumsuchte, als hoffe er, noch etwas Lebendes zu finden.
»Was macht dir Kummer?« fragte Jon-Tom. Er trat näher heran und gab dem Drachen einen herzlichen Klaps auf die Flanke.
Der Kopf schwenkte herum, um ihn jammervoll anzusehen.
»Ich habe eine sozial ideale Gemeinschaft zerstört«, stöhnte er.
»Einen perfekten kommunistischen Organismus.«
»Du weißt nicht, was es war, Falameezar«, widersprach ihm Jon-Tom. »Es könnte ein normales Lebewesen mit einem Einzelgehirn gewesen sein.«
»Das glaube ich nicht.« Falameezar schüttelte langsam den Kopf, sein Ton und sein Aussehen waren so depressiv, wie es einem Drachen nur möglich war; kleine Rauchwölkchen stiegen unregelmäßig aus seiner Nase.
»Ich habe mir die Reste genau angesehen. Es gibt viele individuelle Teile aus unterschiedlichen Wesen, alle verwoben und ineinander verschlungen - zusammenhängend, kooperierend und in gegenseitiger Abhängigkeit. Alles funktionierte in perfekter herrschaftsloser Harmonie.«
Jon-Tom trat von der schuppigen Flanke zurück. »Es tut mir leid.« Er dachte angestrengt nach, wagte nicht, die Gefühle des Drachen zu verletzen, war aber über dessen geistige Verfassung besorgt. »Hättest du es uns lieber zu Tode nagen lassen?«
»Nein, Genosse, natürlich nicht. Aber mir war nicht völlig klar, woraus es bestand. Sonst hätte ich es vielleicht dazu bringen können, eine andere Richtung einzuschlagen. So aber ermordete ich ein perfektes natürliches Vorbild für den Zustand, dem die zivilisierten Gemeinschaften nachstreben sollten.« Er seufzte. »Ich fürchte, ich muß jetzt Buße tun, mein Freund und Genosse.«
Ein wenig nervös deutete Jon-Tom auf die endlose Weite des Graslandes. »Dort draußen lauern viele Gefahren, Genosse. Einschließlich der immer noch unermeßlich monströsen, über die wir soviel geredet haben.«
Es wurde Abend.
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