Die Stunde des Tors
Düstere Wolken versprachen eine weitere Regennacht, und es lag ein Frösteln in der Luft, das sogar Schnee ahnen ließ. Auf der grasbedeckten Ebene breitete sich der Winter aus.
Aus der Richtung der untergehenden Sonne kam ein kalter Wind auf und fuhr durch Jon-Toms verschmutzte Kleider. »Wir brauchen deine Hilfe, Falameezar.«
»Es tut mir leid, Genosse, aber ich habe jetzt meine eigenen Probleme. Du wirst den Gefahren der Zukunft ohne mich gegenüber treten müssen. Denn ich bin ehrlich bekümmert über das, was ich hier getan habe, um so mehr, als ich es mit ein wenig Überlegung hätte vermeiden können.« Er drehte sich um und polterte mit gesenktem Kopf in die heraufziehende Nacht hinaus, seine Füße drückten das Gras herunter, das hinter ihm wieder hochfederte.
»Bist du sicher?« Jon-Tom folgte ihm bis zum Rand der Kreisfläche und streckte beschwörend die Hände aus. »Wir brauchen dich wirklich, Genosse. Wir müssen uns gegenseitig helfen, sonst wird die große Gefahr uns alle überwältigen. Denke an die Bosse der Bosse!«
»Du hast deine anderen Freunde, deine anderen Genossen, die dir beistehen können, Jon-Tom«, rief ihm der Drache über die Wellen des grünen Ozeans zu. »Ich habe nur mich selbst.«
»Aber du gehörst zu uns!«
Der Drache schüttelte den Kopf. »Nein, noch nicht. Eine Zeitlang redete ich mir ein, daß es so sei. Aber ich habe versagt, sonst hätte ich eine Lösung für eure Rettung gesehen, die ohne diesen Mord ausgekommen wäre.«
»Wie solltest du das können? Es war nicht genug Zeit!« Jon konnte die dunklen Umrisse kaum noch erkennen.
»Es tut mir leid, Genosse Jon-Tom.« Falameezars Stimme war durch Schuldgefühl und Entfernung kaum noch vernehmbar. »Lebwohl.«
»Lebwohl, Falameezar.« Jon-Tom blickte dem Drachen nach, bis er völlig verschwunden war, und sah dann enttäuscht nach unten. »Verdammt«, murmelte er.
Er kehrte zum Wagen zurück, an dem inzwischen die Lampen brannten. In ihrem vertrauten freundlichen Glühen überprüfte Caz und Mudge den Zustand ihres Gespanns. Flor, Clodsahamp und Talea sortierten ihre verstreuten Vorräte ein. Die Brille des Hexers saß wieder ordentlich auf dessen Schnabel. Er sah aus der Kutsche, als Jon-Tom, die Hände in den Hosentaschen, den Blick gesenkt, zu ihm schlenderte. »Probleme, mein Junge?«
Jon-Tom hob den Blick und wies mit dem Kopf nach Süden.
»Falameezar hat uns verlassen. Es hat ihn völlig aus der Fassung gebracht, daß er dieses verdammte Porprut töten mußte. Ich habe mein Bestes versucht, aber er war nicht umzustimmen.«
»Es war schon außerordentlich, daß du es versucht hast«, sagte Clodsahamp tröstend. »Nicht viele hätten den Mut, gegen die Entscheidung eines Drachen anzugehen. Sie sind schrecklich starrköpfig. Nun, wie dem auch sei - wir werden unseren Weg ohne ihn machen.«
»Er war der Stärkste von uns«, murmelte Jon-Tom enttäuscht.
»Er hat in dreißig Sekunden mehr bei dem Porprut und den Mimpa erreicht, als wir alle zusammen vorher. Ganz zu schweigen davon, wieviel Ärger er allein durch seine bloße Anwesenheit verhindert hat.«
»Es ist wahr, daß wir seine rohe Kraft vermissen werden«, erklärte der Hexer, »aber Intelligenz und Klugheit sind weit mehr wert, als jede Ansammlung von Muskeln.«
»Mag sein.« Jon-Tom hechtete auf die hintere Ladefläche des Wagens. »Aber ich würde mich mit ein wenig roher Kraft auf unserer Seite trotzdem besser fühlen.«
»Wir sollten nicht unsere Verluste beklagen«, erklärte Clodsahamp tadelnd, »sondern vielmehr voranschreiten. Zumindest werden uns die Mimpa keinen Ärger mehr machen.« Er stieß ein ziemlich unhexerisches Kichern aus. »Es wird Tage dauern, bis sie aufhören zu rennen.«
»Dann fahren wir heute nacht noch weiter?«
»Eine kurze Zeit, ja. Gerade so weit, bis wir diese unmittelbare Umgebung verlassen haben. Dann werden wir Wachen einteilen, für den Fall der Fälle, und bei Tagesanbruch Weiterreisen. Das Wetter sieht unfreundlich aus, und wir werden genug Probleme damit haben, den Kurs zu halten.
Und außerdem, wenn ich auch nicht weiß, wie ihr jungen Leute in dieser Hinsicht empfindet, schäme ich mich nicht zuzugeben, daß der Körper in dieser alten Schale ein großes Bedürfnis nach Schlaf hat.«
Dagegen konnte Jon-Tom nichts sagen. Falameezar oder kein Falameezar, Mimpa oder keine Mimpa, er war todmüde. Was weitaus besser war als das, was er noch vor kurzem bald zu sein geglaubt hatte: einfach tot.
Der Sturm
Weitere Kostenlose Bücher