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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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hatte an Alain nicht einmal gedacht während ihrer Verhandlungen.
    »Nein«, erwiderte sie zunächst ebenso kurz, um dann zu erklären: »Alain von Auxois hat Flandern bereits verlassen. Er kämpft mit seinen Männern gegen die Engländer, wie es auch mein Cousin Philippe und viele andere tun. Es ist auch die Sorge um diese Ritter, die mich dazu getrieben hat, die Manufaktur ins Auge zu fassen, die Ihr nun aufbauen wollt.«
    »Ihr sorgt Euch um die, die Ihr liebt, ich weiß es.«
    So wie er es sagte, klang es wie ein Vorwurf. Sie schwieg, griff aber nach seiner Hand, um sich von ihm aus dem Boot helfen zu lassen.
    Wenn das Haus Cornelis Besucher erwartete oder verabschiedete, die mit dem Boot unterwegs waren, brannte für gewöhnlich eine Laterne am Steg. Heute lag er im Dunkel, und es kam in der letzten Zeit auch so selten Besuch, dass das Holz des Steges mit Moos und Flechten überwuchert und gefährlich glitschig geworden war. Anfangs hatte Aimée kein Interesse an geselligen Kontakten gehabt, doch schließlich kam es ihr mehr und mehr so vor, als würde Colard sie absichtlich von allem fernhalten.
    Hinter der Kaimauer wucherte der Lavendel bis in den Weg hinein. Ihr Kittelsaum streifte darüber, als sie sich zum Haus wandte. Der Lavendelduft legte sich über den Moderhauch des Brackwassers und einen anderen schwachen Geruch, den sie einzuordnen versuchte, indem sie kurz stehen blieb. Dabei kam ihr Contarini näher, so nahe, dass sie seinen Atem im Nacken spüren konnte.
    »Habt Ihr Alain von Auxois Euer Wort gegeben, ehe er in den Krieg zog?«, hörte sie ihn fragen. »Werdet Ihr Brügge verlassen und das Haus Cornelis für ihn aufgeben? Er wird nicht dulden, dass seine Frau Geschäfte macht und ein Handelshaus leitet, das ist Euch hoffentlich klar.«
    Aimée schluckte angestrengt. Sie versuchte seine Nähe zu ignorieren.
    »Warum wollt Ihr das wissen?«
    »Es ist mir wichtig, wie Ihr Euch denken könnt.«
    Aimée war versucht zu leugnen, aber der Schwur, den Alain von ihr verlangt hatte, ließ sich nicht widerrufen. Sie musste dazu stehen.
    »Ich habe ihm versprochen, auf ihn zu warten«, gab sie karg zur Antwort.
    »Gut«, erwiderte er rau. »Habt Ihr dafür gesorgt, dass man Euch erwartet? Kann ich Euch den Weg zum Haus alleine gehen lassen?«
    »Meine Kammerfrau ist wach geblieben, danke, ja.«
    »Gott behüte Euch, Aimée.«
    Er nannte sie einfach Aimée, und sie war gerade versucht zu antworten, als er sie an sich zog und ihr den Mund mit einem Kuss verschloss. Einem Kuss, der ihr für eine halbe Ewigkeit den Atem nahm.
    Als er sie freiließ, taumelte sie ein wenig, bis ein dumpfer Laut verriet, dass er mit beiden Beinen zugleich ins Boot gesprungen war und davonruderte.
    Aimée berührte ihre Lippen mit den Fingerkuppen und starrte in den Mond. Er hat mich geküsst. Es war ihr einziger Gedanke.
    Völlig verwirrt lief sie ins Haus, wo Lison in ihrem Schlafgemach vom Hocker hochschoss, als habe sie wahre Todesängste ausgestanden.
    »Da seid Ihr ja! Gott sei Dank! Ich hatte solche Angst um Euch!«
    »Wie du siehst, bin ich unversehrt«, beruhigte sie Lison, dabei ging es in ihrem Kopf drunter und drüber.
    »Ihr könnt Euch nicht denken, was in Eurer Abwesenheit passiert ist. Wir sind um Haaresbreite einem schrecklichen Unglück entgangen.« Lison verhaspelte sich aufgeregt, und Aimée musste zahllose Fragen stellen, bis sie im Bilde war. Also war es Schwelgeruch gewesen, den sie trotz Lavendel und Kanalgestank wahrgenommen hatte. Ihr Unbehagen ging über in panische Angst.
    »Hat jemand nach mir gefragt?«, erkundigte sie sich. Colard musste ihre Abwesenheit bemerkt haben. Es passte nicht zu ihr, am Unglücksort nicht zu erscheinen.
    Lison schüttelte den Kopf. »Es ging viel zu schnell. Als die Brandwache vom Belfort gelaufen kam, war schon alles vorbei.«
    »Und was ist mit Frau Sophia?«
    »Als sie wieder zu sich kam, hat sie gelacht. Nicht einmal ihre Brandwunden haben sie gekümmert. Herr Colard hat befohlen, einer der Knechte müsse Wache vor ihrer Kammer halten. Wie es scheint, hat sie nun endgültig den Verstand verloren. Niemand weiß, was sie zu einer solchen Wahnsinnstat getrieben hat.«
    Die Kammer wollte sich vor Aimées Augen drehen. Sie hielt sich die Hände vors Gesicht. Das alles in dieser Häufung konnten nicht nur Schicksalsschläge sein. Die Ereignisse und all ihre Ahnungen und Vermutungen verdichteten sich zu einer schrecklichen Gewissheit. Sie war allen im Weg im Hause Cornelis.
    Sie

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