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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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verächtlichen Blick der dunklen Augen stieg ihm bittere Galle in die Kehle.
    »Ihr habt keinen Grund, mich zu beleidigen«, beschwerte er sich heftig und strich sich mit dem Handrücken den Schweiß von der Oberlippe. »Warum sollte ich ein schlechtes Gewissen haben?«
    »Betrug. Diebstahl. Mord.«
    »Herrje, Ihr seid wahnsinnig.«
    Erschrocken sah Colard um sich und stellte fest, dass sie in diesem Moment allein waren. Die Gruppe mit dem Tragstuhl war im Prinsenhof verschwunden, und die Aufmerksamkeit ganz Brügges konzentrierte sich ausschließlich auf die Geschehnisse auf dem Großen Markt.
    »Ich halte meine Augen offen, de Fine. Ich habe den Blick des Einverständnisses sehr wohl gesehen, den Ihr mit Eurer Gemahlin auf der Tribüne getauscht habt. Euer Auftrag ist es, der den tödlichen Pfeil auf seinen Weg gebracht hat.«
    »Bei Gott, nein!« Colard schrie auf, dämpfte indes augenblicklich wieder seine Stimme. »Hört auf. Schweigt! Ihr wisst nicht, was Ihr sagt.«
    »Da täuscht Ihr Euch. Kommt mit.«
    Der Griff, mit dem ihn Salomon am Handgelenk packte und davonzog, erstaunte Colard. Unter den unscheinbaren Gewändern verbarg er die Kraft eines Kriegers.
    »Was wollt Ihr von mir?«
    »Ich will mit Euch reden. Mir scheint, es gibt da einige Dinge, die wir klären müssen.«
    »Ihr habt kein Recht …«
    »Seht nicht den Juden in mir, sondern den Mann, der Eure Geldgeschäfte kontrolliert. Dem könnt Ihr sicher leichter folgen.«
    Der beißende Sarkasmus ben Salomons verschlug Colard die Sprache. Er stolperte, von ihm geführt, in die nächste Gasse und durch mehrere Hinterhöfe. Erst als Salomon die Tür eines niedrigen Hauses öffnete und ihn in die Werkstatt eines Schuhmachers stieß, gab er ihn frei und lehnte sich mit dem Rücken gegen die wieder geschlossene Pforte.
    Bis auf einen mageren Kater, der sich in einem Sonnenfleck putzte, war der Raum leer. Die Luft roch nach gebrauchtem Leder, nach Schweiß und ranzigem Fett.
    Der kurze Weg hatte Colard wieder so weit zur Besinnung gebracht, dass er unverzüglich gegen diese Entführung protestierte.
    »Schweigt«, fuhr ihn Abraham ben Salomon heftig an. »Ich habe mit eigenen Augen gesehen, wie Frau Aimée von diesem Pfeil getroffen wurde. Ich schwöre Euch, dass meine Männer den Schützen auftreiben werden. Er wird gestehen, wer sein Auftraggeber ist, wenngleich ich es jetzt schon weiß. Ihr macht mit dem Tuchhändler Korte gemeinsame Sache.«
    »Nein!« Colard schrie so laut, dass der Kater fauchend aufsprang und das Weite suchte. »Ich habe nichts mit diesem feigen Anschlag zu schaffen. Ich gebe zu, dass ich Frau Cornelis am liebsten aus dem Hause hätte, aber ich würde nie und nimmer darauf verfallen, sie zu ermorden. Sie soll in die Comté zurückgehen, zu den Ihren. Das ist alles, was ich von ihr will. Ich bin ein ehrenhafter Kaufmann, kein Meuchelmörder!«
    »Ehrenhaft?« Salomon verengte zornig den Blick. »Ihr nennt es ehrenhaft, was Ihr mit Frau Cornelis in den letzten Monaten getrieben habt? Ihr habt ihre Arbeit sabotiert, wo es nur ging. Ihr habt diesen Handelszug überfallen lassen. Ihr wolltet ihr Lager in Brand setzen, und nun habt Ihr einem von Kortes Handlangern den Mord befohlen. Ihr geht zu weit, de Fine. Ich werde in aller Öffentlichkeit Anklage vor dem Grafen von Flandern gegen Euch erheben. Gegen Euch, Eure Frau und Anselm Korte.«
    »Nein. Nein und noch einmal nein! Ich könnte Aimée niemals körperliches Leid antun! Und weshalb sollte ich meinen eigenen Handelszug überfallen lassen? Ich bin doch nicht verrückt. Ihr müsst doch wissen, welchen Verlust wir dabei erlitten haben?«
    »Einen Verlust, den Euer Herr Schwiegervater bei weitem wettgemacht hat, als er die gestohlene Ware über Conzett an einen Hansekaufmann verhökerte.«
    Colard schüttelte den Kopf. Weniger weil er Salomon nicht glaubte, sondern weil er die Betäubung vertreiben wollte, die ihn bei dessen Anklagen überfallen hatte. Ihre Blicke trafen sich.
    Colard stützte sich heftig atmend auf dem Arbeitstisch des Schusters ab. Eine Ahle fiel klappernd zu Boden. Niemand nahm Notiz, und Colard fragte sich erst jetzt, warum sich keine Seele in diesem Haus um ihre Anwesenheit kümmerte. War der Schuster ein Jude, der ben Salomon verpflichtet war? Einer seiner Schuldner wie er?
    »Habt Ihr Beweise für Eure Behauptungen?«, presste er schließlich heraus.
    »Sonst würde ich sie nicht laut aufstellen.«
    Colard kapitulierte.
    »Ich wusste nichts davon«, ächzte er.

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