Die Stunde des Venezianers
»Ihr müsst mir glauben. Korte vertraut mir nicht. Er behält seine Pläne für sich.«
»Das soll ich Euch abnehmen?« Salomon reagierte so unbeeindruckt, dass er sich gezwungen sah, weitere Erklärungen abzugeben.
»Anselm Korte strebt nach der Macht über das Haus Cornelis. Schon als er seine Tochter mit Ruben verheiraten wollte, war es sein bevorzugtes Ziel. Seit dieser Zeit hasst er Aimée Cornelis, weil sie ihm im Weg steht.«
Colard presste die Lippen aufeinander, damit ihm nicht auch noch eine Anklage gegen Gleitje entschlüpfte. Sie war seine Frau. Sie erwartete sein Kind. Er hatte vor Gott und den Menschen geschworen, sie zu beschützen. Er konnte sie nicht anklagen, auch wenn sie noch so viel Schuld auf sich geladen haben sollte.
»Anselm Korte wird für alles büßen müssen«, erwiderte Salomon so bestimmt, dass Colard den Eishauch seiner Worte bis in das eigene Herz hinein spürte. »Euch lasse ich die Wahl, de Fine. Entweder arbeitet Ihr ab jetzt mit mir zusammen, oder Ihr werdet mit Eurem Schwiegervater ins Verderben gerissen. Entscheidet Euch.«
»Sprecht Ihr auch im Namen von Herrn Contarini?«, wagte Colard zu fragen.
»Dessen könnt Ihr gewiss sein. Habt Ihr den Schwur vergessen, den er Frau Cornelis' Onkel gegeben hat?«
»Jean-Paul von Andrieu ist tot.«
»Messt den Herrn Contarini nicht mit Eurer Unmoral, de Fine. Er hält sein Wort, auch einem Toten.«
Er hörte die Verachtung in Abrahams Worten. Er hielt ihn für einen Schwächling. Er warf ihm Dinge vor, die er sich selbst in der Verzweiflung bereits vorgeworfen hatte. Er mochte nicht widersprechen. Ihm blieb nur eines, er musste versuchen, wiedergutzumachen, was wiedergutzumachen war.
»Was wisst Ihr über Aimée Cornelis' Befinden?«
»Sie hat eine gefährliche Verletzung erlitten, aber die besten Ärzte der Grafschaft Flandern bemühen sich auf Befehl der Herzogin um sie. Betet, dass sie am Leben bleibt.«
In Colards Ohren klang das nicht besonders zuversichtlich. Vielleicht war Aimée bereits tot oder starb in diesem Augenblick. Die Trauer ergriff ihn unvorbereitet. Er hatte sie begehrt, er hatte sie auch bewundert. Mit einem Ruck richtete er sich auf.
»Ich bin Euer Mann. Was soll ich tun?«
»Jeden noch so kleinen Beweis für Kortes infame Machenschaften sammeln. Verleitet ihn zum Reden. Fragt ihn aus und haltet Euch bereit, am Ende zu beschwören, was er Euch gesagt hat.«
»Was habt Ihr vor?«
»Ich will Gerechtigkeit für Eure Handelsherrin«, erwiderte Salomon mit einer Leidenschaft, die Colard erstaunte. Gehörte etwa auch dieser kühle, seltsame Jude zu Aimées Bewunderern?
»Wie wollt ihr das bewerkstelligen? Ich muss Euch nicht sagen, wie wenig Einfluss ihr und Eure Glaubensbrüder in Brügge besitzen.«
»Wir haben vielleicht keinen direkten Einfluss, aber unsere Verbindungen sind weitreichender, als Ihr Euch vorzustellen vermögt.«
»Ihr begebt Euch in Gefahr«, warnte Colard. Er gab die Information preis, die er bislang zurückgehalten hatte. »Ein Vetter meiner Frau gehört zu den Bogenschützen von Sankt Sebastian. Ein aufbrausender Junge, der gerne trinkt und sich in Raufhändel verwickelt, aber ein begnadeter Schütze. Klaas Korte. Er treibt sich am liebsten in den Schenken am Minnewaterhafen herum.«
Abraham nahm die Nachricht ohne sichtbare Regung auf. Er griff nach dem Türriegel. »Ihr hört von mir. Außerdem erwarte ich, dass Ihr mir das Hauptbuch des Hauses Cornelis in den Walplein bringt und die Zinsen, die Frau Aimée für ihre Hypothek zurückgelegt hat.«
Colard konnte sich nur einen Grund für diese Maßnahme denken. »Ihr traut mir nicht.«
»Wundert Euch das?«
Ehe er eine Antwort darauf fand, stand die Tür zur Gasse weit auf, und Salomon war verschwunden. Colard folgte ihm schwerfällig. Er fiel fast über den Kater auf der Schwelle.
Es war seine Schuld, wenn Aimée starb. Er hatte Gleitje nicht aufgehalten.
47. Kapitel
B RÜGGE , P RINSENHOF , 10. J ULI 1372
»Der Herzog bereitet einen neuen Feldzug gegen die Engländer vor. Wie wir erfahren haben, werden in Calais große Truppenverstärkungen erwartet. Johann von Gent, der Herzog von Lancaster, soll die englische Armee auf dem Kontinent anführen. Eure Bitte kommt zu spät, Herr ben Salomon. Mein Gemahl hat Brügge heute Morgen in aller Eile verlassen.«
Die Herzogin hatte ihren Besucher im Audienzzimmer des Herzogs empfangen, was dem Gespräch einen offiziellen Anstrich verlieh, auf den sie großen Wert legte. Es galt
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