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Die Stunde des Venezianers

Titel: Die Stunde des Venezianers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cristen Marie
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prasselten ihr um den Kopf, während ihr gleichzeitig der Boden unter den Füßen wegrutschte. Was war in Colard gefahren? Sein Verhalten übertraf die schlimmsten Erwartungen.
    Als sie sich gesammelt hatte, betrachtete sie das Bild ihrer Urgroßmutter noch einmal.
    Schlimmer als dir geht es mir nicht, meine liebe Urgroßmutter. Auch Hagelschauer ziehen durch. Jeder Tag bringt etwas Neues, und es kann nicht immer nur Schlechtes sein.
    Der Anblick des Bildes gab ihr unerwarteten Trost.
    Mit Colard allein, der sich in seiner Eitelkeit so stark verletzt fühlte, würde sie niemals das Handelshaus Cornelis vom Rande des Ruins zurückreißen können. Sie musste ohne seine Hilfe auskommen.
    Sie musste neue Pläne ohne ihn machen.
    Sie würde die Einladung der Herzogin nach Male annehmen. Einmal, um die Glanzstücke der Arbeit der Beginen bei Hofe zu präsentieren, und dann, um den Verkauf ihrer Stoffe und Luxusgegenstände dort auf dezente Art noch besser in Schwung zu bringen. Die Damen der Herzogin stammten aus den ersten Familien Frankreichs und Flanderns. Sie würden mit dafür sorgen, dass das Haus Cornelis über die Grenzen von Brügge hinaus bekannt würde. Nebenbei konnte sie ungestört, unter dem Schutz der Herzogin, darüber nachdenken, wie sie den Verlust des Handelszuges wettmachen konnte und wen sie letztlich um Hilfe bitten musste.
    »Du wirst mir Glück bringen, Margarete Cornelis«, sagte sie zur Dame mit der Lilie.
    Diese gab keine Antwort.

32. Kapitel
    B URG VON MALE , 21. J UNI 1372
    Male, die Burg der Grafen von Flandern, außerhalb des Bannkreises von Brügge gelegen, demonstrierte die Macht Ludwigs von Male. Zu Beginn des Jahrhunderts war sie in ein befestigtes Bollwerk verwandelt worden.
    Aimée erkannte den imposanten Hauptturm schon von weitem, während sie über die Dammstraße an einem der zahllosen Kanäle entlang zur Burg ritt, die im gleißenden Licht der Sommersonne stolz das flache Land beherrschte. Lison und die Knechte folgten ihr auf dem Karrenweg mit ihrem Gepäck.
    Der Ritt schenkte ihr befreiende Entspannung. Sie war froh, die Entscheidung getroffen zu haben, für ein paar Tage nach Male zu gehen. Warum sollte sie nicht die guten Beziehungen zwischen dem Herzog und dem Hause Andrieu nutzen?
    Die Herzogin empfing sie überschwänglich in der Burg ihres Vaters. Sie war sichtlich erfreut, ihre ehemalige Hofdame wiederzusehen, ja sie schmiedete sofort Pläne für sie. Die Ehe mit Ruben Cornelis sah sie nur als Episode. Sie sei beklagenswert kurz gewesen, nicht einmal ein Kind erinnere an sie, und bei Hofe würde sich auch niemand mehr an ihre Eheschließung erinnern, sie habe schließlich ohne großes Aufsehen stattgefunden. Sie solle aufhören, Rubens Andenken ihre Zukunft zu opfern, war kurz und bündig ihr Schlusswort dazu. Sie werde sie als Aimée von Andrieu einführen.
    Der Herzog sei nach Flandern gekommen, fuhr sie dann fort, um seine Freundschaft mit den Flamen weiter zu vertiefen. Hintergrund war der Zwist mit England und die Tatsache, dass es in Flandern immer noch einflussreiche Kräfte gab, die es gerne sähen, wenn das Königreich England dabei die Oberhand behielte. Speziell in Brügge machte sich dieser Wunsch breit.
    »Ihr könnt uns sehr dabei von Nutzen sein, die Rädelsführer zu finden. Macht Ihr nicht auch Geschäfte mit England?«
    Aimée erschrak.
    »Das würden wir nicht wagen. England ist der Feind Frankreichs«, fing sie sich.
    »Genau das ist das Problem«, fuhr die Herzogin überraschenderweise fort. »Wie soll es jemals Frieden geben, wenn die Länder so verfeindet sind, dass neutraler Handel unmöglich ist? Wir richten uns alle wirtschaftlich zugrunde. Leidtragende sind nicht zuletzt die Frauen und Kinder beider Königreiche. Der Herzog und ich suchen nach einer Möglichkeit, die Lage nachhaltig zu verbessern. Nun – wir werden noch genügend Zeit haben, darüber zu sprechen. Zuerst steht das Festmahl an. Ich freue mich, Euch dort zu sehen«, schloss die Herzogin und winkte einem Pagen. »Bringt die Dame von Andrieu in die Gemächer, die für sie bereitet sind.«
    Aimée zog sich zurück. Sie bewunderte die Herzogin für ihre Pläne und ihre Tatkraft. Im März hatte sie ihren zweiten Sohn zur Welt gebracht. Von ihr ging eine Selbstsicherheit aus, um die sie sie beneidete.
    In der Burg, die von der doppelten Hofhaltung des Grafen von Flandern und des Herzogs von Burgund überquoll, wurde Aimée trotzdem der Luxus eines eigenen Schlaf- und Wohnraumes zuteil.

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