Die Stunde des Verfuehrers
in die Tat umsetzen zu lassen. Hastig schüttelte sie den Kopf, erleichtert und enttäuscht zugleich, als er einen Schritt zurücktrat.
Seufzend sah sie ihm nach. Sie steckte wirklich in Schwierigkeiten. Und möglicherweise lauerten noch mehr Schwierigkeiten auf sie. Schwierigkeiten, die Pascal Lévêque überhaupt nicht gefallen würden.
In diesem Moment gab der Kameramann ihr das Zeichen, das alles für die erste Aufzeichnung bereit war. Rasch packte sie ihre Sachen zusammen und eilte hinunter auf das Spielfeld.
Als endlich das letzte Interview anstand, war Alana ziemlich erschöpft. Ihr Magen krampfte sich zusammen, als sie aufblickte und sah, mit wem sie würde sprechen müssen. Sean Donohoe, ein alter Saufkumpane von Ryan.
Wie Ryan hielt ihn seine Ehe nicht davon ab, ein ausschweifendes Leben mit allerlei Seitensprüngen zu führen. Sean schenkte ihr ein schmieriges Lächeln, das Alana ignorierte, während sie ihre Fragen sortierte.
Sie waren schon fast am Ende des Interviews angelangt, als Sean leise sagte: „Wie man so hört, hast du dir schon den nächsten Kerl geangelt, kaum dass der arme Ryan unter der Erde liegt.“
„Wie bitte?“
„Jeder weiß, dass du es kaum erwarten konntest, ihn loszuwerden. Wie eine Weihnachtsgans hast du ihn ausgenommen. Und jetzt scheint es, als hättest du dein Glück gemacht, nicht wahr? Zum einen gehört dir Ryans Geld, zum anderen frisst dir einer der reichsten Männer der Welt aus der Hand …“
„Entschuldigung, Sean“, fiel sie ihm rasch ins Wort. „Mein Ehemann ist vor über anderthalb Jahren gestorben. Und was ich mit meinem Leben mache, ging und geht dich nichts an.“ Der boshafte Ausdruck in Seans Augen ließ sie innerlich zusammenzucken. Gleichzeitig spürte sie, wie etwas in ihr erwachte, etwas, das sie lange unterdrückt und unter Verschluss gehalten hatte. Die Wahrheit.
„Du allein trägst die Schuld an seinem Tod“, fuhr Sean ungerührt fort. „Du bist verantwortlich dafür, dass sich das irische Team nie von seinem Verlust erholt hat. Wenn du ihn nicht aus dem Haus geworfen hättest, als er am verletzlichsten war …“
Es geschah aus reinem Reflex. Alana lachte. Sie musste tatsächlich lachen. Und es fühlte sich so gut an, dass sie gar nicht erst versuchte, wieder aufzuhören. Lange genug hatte sie als Sündenbock für Ryan O’Connor hergehalten, jetzt war die Zeit für die Wahrheit gekommen.
Sie machte einen Schritt nach vorne und stieß einen Finger gegen Seans breite Brust. Es fühlte sich herrlich an, dass er erste Anzeichen von Nervosität zeigte.
„Lass uns ein paar Dinge ein für alle Mal klären, ja?“ Sie wartete eine Antwort gar nicht erst ab. „Mein Ehemann war ein Lügner, ein Betrüger, ein Schürzenjäger und ein Spieler. Und ich bin nicht die Einzige, die das weiß. Mein einziger Fehler war, dass ich so lange den Mund gehalten und der Welt erlaubt habe, weiter an den heiligen Ryan zu glauben. Er hat mir das Leben zur Hölle gemacht. Und du warst daran beteiligt. Ich weiß über dich Bescheid, Sean Donohoe. Meinst du nicht, die Menschen da draußen oder zumindest deine Frau würde interessieren, von deinen Saufgelagen mit irgendwelchen Huren zu hören …“
„Halt den Mund, du kleine Schlampe.“
Der drohende Tonfall und der wutentbrannte Ausdruck auf Seans Gesicht ließen Alana einen Schritt zurückweichen. Jemand stürzte auf Sean zu und sprach beruhigend auf ihn ein.
Plötzlich kehrte die Realität zurück. Hatte sie das wirklich gerade alles gesagt? Sie schaute sich zu dem Kameramann um. Es war nicht Derek, sondern ein neuer, sehr junger, der sie mit ängstlichen Augen ansah. Derek wäre klug genug gewesen, die Kamera anzuhalten.
„Bitte, sag mir, dass du das nicht aufgenommen hast?“
Der Junge schluckte, lief rot an und nahm die Kamera von der Schulter. „Ich …“
Alana legte eine zitternde Hand an ihre Wange. Mit der anderen umklammerte sie noch immer das Mikrofon. „Oh, Gott.“
Eine leise, unheilvoll klingende Stimme drang an ihr Ohr. „Gut gemacht, Cusack. Jetzt bist du erledigt.“
Sie ließ die Hand sinken und sah Sean nach, der vom Feld spazierte. Er hatte gar nicht viel tun zu brauchen. Nach seinem ersten provozierenden Kommentar hätte sie das Interview abbrechen sollen. Ähnlich verletzende Äußerungen hatte sie seit Ryans Tod immer wieder zu hören bekommen. Doch erst heute war in ihr das Bedürfnis erwacht, sich zu verteidigen.
Über das provisorische Studio, das für die Analyse nach
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