Die Stunde des Wolfs
vernünftigem Wetter, aber wenn der Winter kommt …« Er zuckte die Achseln, was will man machen. »Wir arbeiten noch an unserem Wappen – ein aufgerichteter Silberdrachen, der sich mit Daumenklaue und Zeigefinger die Nase zuhält, unter dem verschnörkelten Motto, Pfui! Jedenfalls sehen Sie, wie es funktioniert. Wir heben die Masten hier liegend auf und schaffen sie bei Nacht mithilfe der Laster raus. Wenn wir sie erst mal auf Zementsockeln aufgerichtet haben, können wir Adolfs U-Boot- und Schiffsmeldungen mithören. Die ganze Bandbreite, alles, sogar das meiste in mittlerer Wattleistung, Militärhaushalt größtenteils, aber eine ganze Menge ist en clair .«
»Und Sie haben Strom? Hier draußen?«
»Oh nein, das ist ja das Schöne daran. Wir haben Generatoren, oder vielmehr, Sie haben sie. Sie haben sie doch dabei, oder?«
»Alles, was die mit uns verschifft haben«, sagte De Haan.
Sie arbeiteten noch hart, als bereits die rote Sonne über den Horizont stieg und das Meer erleuchtete. Die Ulla wurde mit immer mehr Gewicht beladen, von dem sie immer tiefer sank, während der Kapitän sie mit zusammengekniffenen Augen anfunkelte. Doch sie hatte ruhiges Wasser und nur eine Meile zu fahren, und bis 06.50 Uhr hatte die Noordendam die letzte Fracht gelöscht. »Wir sind Ihnen für Ihre Hilfe dankbar«, – ein schottisches Gebrumm vom kommandierenden Offizier, ein Handschlag, und De Haan stieg bereits wieder die Gangway hoch. Die Besatzung war größtenteils an Deck und sah der Ulla auf ihrer letzten Fahrt ans Ufer hinterher. Einige winkten, und der Fischer winkte zurück und spreizte die Finger zum Siegeszeichen.
Kees übernahm die Brücke und sorgte dafür, dass sie schnell unterwegs waren – sie durften sich nicht beim Ankern erwischen lassen –, während De Haan und Ratter in die Offiziersmesse hinuntergingen. Kaum saßen sie am Tisch, brachte Cornelius eine Kanne Kaffee und, wie sich herausstellte, Toast herauf. »Wenn man sich schon im Krieg befindet«, sagte Ratter, »kann man auch so was hier tun. Meinst du, es wird was nützen?«
Das wusste De Haan nicht zu sagen. Möglich, der NID jedenfalls war der Meinung, und die Noordendam an diesem Tag nicht der einzige Frachter auf der Welt, der Gott weiß was für eine Ladung an eine einsame Küste verfrachtete. Man musste alles zusammenzählen, dachte er, vielleicht hatte es dann etwas zu bedeuten. Er lehnte sich zurück und schloss einen Moment lang die Augen, holte dann eine North State aus dem Päckchen und zog den Aschenbecher zu sich heran, zündete ein Streichholz und damit den Zigarillo an und verbrannte die Anweisung des NID.
Das Blohm-und-Voss-Flugboot erschien um 08.10 Uhr auf Ostkurs die schwedische Küste entlang, kam somit ein paar Meilen nördlich an der Noordendam vorbei. Das Flugzeug blieb unbeirrbar auf seinem Kurs, das raue Dröhnen seiner Motoren nahm einen Moment lang zu, verebbte wieder und verstummte. Und falls die Beobachter sie überhaupt bemerkten, dann sahen sie nicht mehr als einen alten spanischen Frachter, der unter ihnen langsam seines Weges zog, aus Riga oder Tallinn, und seinen gewöhnlichen Geschäften nachging.
Zu diesem Zeitpunkt war De Haan bereits in seiner Kajüte, auf seiner Koje ausgestreckt, und schlief. Er hörte die deutsche Patrouille nicht, er hörte – drei Stunden später – nicht einmal den Wecker, der stolz eine Weile klingelte, dann zu einem blechernen Stottern abfiel, bevor er schwieg. Normalerweise hätte er hinübergegriffen und das Ding ausgemacht, doch er konnte die Hand nicht bewegen. Langsam und Stück für Stück kehrte die Welt zurück – wo er war, was es zu tun gab –, und er zwang seine Beine, sich über die Bettkante zu schwingen, ging zum Waschbecken, füllte die Hände mit warmem Wasser und tauchte das Gesicht darin ein. Er beschloss, sich nicht zu rasieren, und rasierte sich.
Dann wollte er zu Maria Bromen, doch sie war nicht in ihrer Kajüte. Er machte sich auf die Suche und fand sie schließlich auf dem Achterdeck, rücklings an das Gehäuse einer Dampfwinde gelehnt, das Gesicht in die Sonne gereckt. Sie öffnete ein Auge und blinzelte zu ihm hoch, bevor sie guten Morgen sagte. »Ich war schon mal da, um dich zu besuchen, aber du hast wie ein Toter geschlafen.«
»Du warst da?«
»Ein Weilchen, ja.«
Ein entschuldigendes Lächeln. »Ich könnte noch ein bisschen Schlaf vertragen«, sagte er. »Nach der Mittagswache.« Falls du Lust hast, mir für ein Schläfchen Gesellschaft
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